Der österreichische Schriftsteller Wolf Haas (Jahrgang 1960) hat 2023 ein wunderbares Buch mit dem Titel „Eigentum“ über seine Mutter geschrieben. Nun also sein nächster Streich: „Wackelkontakt“ ist am 9. Januar 2025 im Carl Hanser Verlag erschienen.
Escher, Puzzles und die Mafia
Auf 240 Seiten in 2 Kapiteln („Off“ und „On“) erzählt Wolf Haas eine furiose Geschichte, die an die Zeichnungen und Grafiken des Niederländers M. C. Escher erinnert. So heißt denn auch Haas’ Hauptfigur Franz Escher, der an seinem 19. Geburtstag ein 1000-teiliges Puzzle der „Drawing Hands“ seines Namensvetters geschenkt bekam. Puzzles und Bücher über die Mafia sind seitdem Eschers Leidenschaften.
Eine Geschichte, zwei Geschichten oder doch eine Geschichte?
Franz Escher ist Trauerredner und wartet in seiner Wohnung auf den Elektriker, der den Wackelkontakt einer der Steckdosen in der Küche reparieren soll. Um sich zu beschäftigen, liest er in einem Buch über den italienischen Kronzeugen Elio Russo, der im Gefängnis sitzt und auf seine Entlassung ins Zeugenschutzprogramm wartet. Elio hat Angst, noch vor seiner Entlassung ermordet zu werden. Um sich abzulenken und seine Deutschkenntnisse zu verbessern (er soll sein neues Leben als Marko Steiner in Deutschland beginnen), liest er in einem Buch, das von einem Franz Escher handelt, der auf den Elektriker wartet. Wie jetzt?
Dieses Überraschungsmoment ist die geniale Idee von Wolf Haas. Die Geschichten von Franz Escher und Elio Russo verschlingt er in nahezu „unmöglicher“ Weise, wie M. C. Escher seine Figuren. So geht es nicht getrennt Kapitel für Kapitel mit Escher und Russo weiter, sondern mitten im Text, wenn die jeweilige Figur das Buch über die andere in die Hand nimmt und weiterliest:
„Da Elio nicht wusste, wie er seine Gedanken in den Griff bekommen sollte, holte er Svens Buch aus dem Rucksack und versuchte, ein bisschen zu lesen. Vom Wohnzimmer aus belauschte Escher die Arbeitsgeräusche des Elektrikers …“ (S. 23)
Und dann gibt es einen Toten.
„Wackelkontakt“ von Wolf Haas ist überraschend, besonders und sehr unterhaltsam
Wie sich die Schicksale des deutschen Trauerredners Franz Escher und des italienischen (Ex-) Mafioso Elio Russo bzw. Marko Steiner immer weiter miteinander verflechten, das ist die Erzählkunst von Wolf Haas, in der Geschichte, Figuren und Struktur bzw. Form haargenau aufeinander abgestimmt sind. Hinzu kommt Wolf Haas’ eigenwillige Sprache aus Skurrilität, Humor, Phantasie und Genauigkeit. Und wie in einem Puzzle aus einzelnen Teilen fügt sich Haas’ „Wackelkontakt“ am Ende zu einem Bild zusammen. Passt.
„Wackelkontakt“ von Wolf Haas ist ein sehr unterhaltsames Lesevergnügen der besonderen, überraschenden Art, obwohl es wie Haas selbst sagt „eine einfache Geschichte ist“ und man beim Blick auf das Cover Sehstörungen bekommen kann.
Wolf Haas: Wackelkontakt.
Carl Hanser Verlag, 9. Januar 2025.
240 Seiten, Hardcover, 25,- Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.