Ungewöhnlich, abgedreht, so ganz anders. Das sind die Begriffe, die mir als erstes zu diesem Buch einfallen. Bei dem ich auch erst einmal überlegen muss, ob man es als Roman bezeichnen kann. Das ist es ohne Frage, aber es ist auch eine Graphic Novel, ein Chatprotokoll, ein Blog und überhaupt eine gelungene Mischung aus witzigen, kritischen, psychologischen und spannenden Bestandteilen, die ein durchaus interessantes und fesselndes Ganzes formen.
Dieses Ganze ist nicht der erste Roman der in Russland geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Autorin. Worum geht es? Tim und Thea sind ein junges Paar, welches gerade in ein Mietshaus am Stadtrand eingezogen ist. Tim, Zeichner und Erzähler von Graphic Novels, gibt den Hausmann, während Thea als Influencerin eine neue Stelle angetreten hat, neue Chefin ist jetzt eine Freundin von ihr.
Da haben wir einerseits die von Tim in Ich-Form erzählten Romanstrukturen. Er berichtet von seinem Tagesablauf, schildert die Bewohner der Mietshäuser, die Gegend und das Milieu, das so ganz anders ist als der Stadtteil, in welchem die beiden vorher lebten. Er kommt in Kontakt mit Maxim, einem jungen Ukrainer, der Tim gleich mal als seinen Deutschlehrer requiriert, und mit Dagmar, einer über 80-jährigen Nachbarin, der er bei der Einrichtung ihres Internets hilft und die in einem Blog krasse Tipps zum Sparen gibt. Diese Blogbeiträge lesen wir ebenso wie Maxims Statusberichte über seine Lernfortschritte, die nicht nur seine Sprachkenntnisse betreffen, sondern ebenso den Umgang mit den deutschen Frauen. Immer wieder eingeschoben auch die Szenen aus Tims Arbeit an der Novel, welche eine Geschichte in der schmelzenden Arktis erzählt.
Und da haben wir die Chatprotokolle zwischen Thea und Anna, ihrer Freundin und neuerdings Chefin. Thea vertraut Anna, vertraut ihr vieles an, was man als Leserin mit mulmigem Gefühl verfolgt. Zumal Thea sich für ihren Job mehr als verausgabt, ihre Beziehung leidet darunter ebenso wie ihre Gesundheit.
Die Handlung nimmt dann Fahrt auf, als Tim unversehens ganz offensichtlich einer Verwechslung zum Opfer fällt und Besuch von Schlägern erhält. Das Ganze, die Rahmenhandlung wie auch die anderen Teile, geben viel Stoff zum Nachdenken, decken sie doch viele sehr aktuelle Themen ab, wie den Klimawandel, Mobbing, Umgang mit Fremden, mit Geflüchteten, die Situation alter Menschen.
Manchmal war mir das dann doch zu überdreht, war es ein bisschen zu viel von allem, auf die Dauer wird es etwas anstrengend, den Faden nicht zu verlieren, sich immer wieder auf eine andere Struktur, einen anderen Stil, eine andere Sprache einzustellen. Dennoch hat mir die Lektüre viel Spaß bereitet, sind doch die Figuren lebensecht bis zur Schmerzgrenze, sind die Dialoge natürlich, ist die ganze Handlung obzwar absurd doch (leider) auch realistisch. Mal etwas ganz anderes, aber unbedingt empfehlenswert.
Wlada Kolosowa: Der Hausmann.
Leykam, Juli 2022.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.