Victoria Kielland: Meine Männer

Der Roman „Meine Männer“ von Victoria Kielland baut seine Geschichte auf dem Fundament einer altbekannten Tragödie auf: Brynhild, eine junge, schöne Magd, wird vom Hoferben verführt. Im Vergleich zu der unbedarften Siebzehnjährigen hat er in solchen Dingen Übung. Der Hoferbe zeigt ihr, wie bedingungslose Liebe funktioniert, und die junge Magd glaubt ihm, bis sie schwanger wird. Die Hoffnung, an seiner Seite Bäuerin zu werden und auf der sozialen Leiter aufzusteigen, stirbt unter seinen Fäusten und Fußtritten.

Die Wende zu etwas Neuem beginnt mit Brynhilds Flucht zu ihren Eltern, wo sie die Enge und Armut nicht mehr aushalten kann. Zum Glück hilft ihre älteste Schwester aus Amerika. Die schwangere Brynhild verlässt Norwegen 1876, um mit der Überfahrt nicht nur neue Ufer, sondern auch endlich Glück im Leben zu finden. Bei ihrer Ankunft ändert Brynhild ihren Namen. Sie will Bella heißen und Jahre später Belle.

In Amerika wird sie die Grenzen von Abhängigkeit und dem Ausgeliefertsein verschieben. Bella begreift, dass sie nur etwas in ihrem Leben verändern kann, wenn sie die gesellschaftlichen Regeln ignoriert: „Bella war nur für sich selbst verantwortlich, das verstand sie allmählich. Bedingungslose Liebe existierte nicht. Alles hatte Forderungen und Grenzen, alles hatte Formen, die irgendwann barsten und brachen …“ (S. 79)

Die Autorin Victoria Kielland wurde 1985 in Norwegen geboren. Ihr mit mehreren Preisen ausgezeichneter Roman zeigt in einem ungewöhnlichen Schreibstil die Metamorphose der jungen Brynhild, die von ihren Männern lernt, dass ein grenzenloses Ausleben ihrer Sexualität mit dem Tod kombinierbar ist. Als Bella lernt sie das Leben einer Ehefrau in ihrer Beengtheit kennen, und als Belle befreit sie sich von allen Konventionen. Sie nimmt, was ihr gefällt und zerstört, wenn sich ihre Bedürfnisse verändern. Die bedingungslose Liebe verlangt die erfahrene Belle nun von „ihren Männern“, die über Heiratsanzeigen zu ihr finden. Sie hat nichts zu verschenken.

Victoria Kielland spielt mit der Sprache, die das emotionale Erleben fokussiert und nicht die nackten Tatsachen. Diese verlieren ihre Konturen, wenn Brynhild versucht, ihre Traumata zu verarbeiten oder die Liebe zu begreifen. Ihr psychologisches Drama spitzt sich immer weiter zu, bis es nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit zu einem drastischen Befreiungsschlag oder Untergang kommen muss.

Man könnte bei der Betrachtung des Covers Parallelen zu einem bekannten Buch und dessen Verfilmung sehen wollen, in dem Jodie Foster auf den Spuren eines Kriminalfalles tief in die Psychologie eintaucht. Brynhilds Psyche führt jedoch seine Leserschaft auf eine emotionale Reise, die Schritt für Schritt zu Belle führen wird. Eine historische, sensationslüsterne Kriminalgeschichte wird man vergeblich suchen, denn Belle ist speziell.

Viktoria Kielland: Meine Männer
Aus dem Norwegischen übersetzt von Elke Ranzinger
Tropen Verlag, September 2023
192 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 22,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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