Valerie Wilson: Todesblues: Ein Fall für Tamara Hayle

Bevor Tamara Hayle Privatdetektivin wurde, war sie Polizistin. Sie weiß genau, wie diskriminierend ein weißer Polizist sein kann. Sie war in ihrem Revier die erste farbige Polizistin und hielt irgendwann die versteckten und direkten Angriffe nicht mehr aus. Seit dieser Entscheidung vertritt sie die Seite der Schwachen.

Die erfolgreiche Autorin Valerie Wilson war vor der Veröffentlichung ihres ersten Detektivromans Chefredakteurin bei der Zeitschrift Essence. Der erste Band mit der mutigen Tamara Hayle erschien 1994 mit dem deutschen Titel „Ein Engel über deinem Grab“. Ihr vierter (eigenständiger) Band, No Hiding Place, mit dem deutschen Titel Todesblues, erschien erstmalig 1997. Im Zentrum dieser Geschichte steht die Verkettung von Ereignissen, aus der sich weder Schuldige noch Opfer befreien können.

Der Todesblues beginnt mit einem nächtlichen Überfall: Tamara Hayle sieht in die Mündung einer Waffe, die ein Junge auf sie richtet. Sie hat nichts, was er will und gerät dadurch in große Gefahr. Nur mit viel Glück kann sie sich aus dieser Situation retten. Am nächsten Tag erscheint Bessie, die Großmutter des Jungen, in ihrem Büro. Diese klagt, ihr Sohn Shawn sei bereits vor ein paar Monaten erschossen worden, und die Newarker Polizei erledige ihre Arbeit nicht. Bessie möchte, dass Tamara den Mörder findet, um die Trauer um ihren Sohn bewältigen zu können. Leider habe die Polizei kein Interesse, den Mord an einem farbigen Kriminellen aufzuklären: ‚Sollen sie sich doch gegenseitig umbringen!‘

Die nicht enden wollende Trauer kann Tamara nachvollziehen. Sie selbst trauert noch immer um ihren verstorbenen Bruder, der als Polizist ein gefährliches Leben führte. Damals hatte ihr Bruder den Jugendlichen Shawn unter seine Fittiche genommen. Den scheinbar vorbestimmten Weg sollte Shawn nicht gehen.

Bessies Besuch weckt verdrängte Schuldgefühle. Mit dem Tod ihres Bruders zerbrach nicht nur die freundschaftliche Beziehung zu Shawn, sondern auch dessen Weg in ein besseres Leben. Shawn landete im kriminellen Milieu. Aus diesem Grund fühlt sich Tamara verpflichtet, das einst von ihrem Bruder aufgenommene soziale Engagement auf ihre Weise fortzuführen. Sie weiß schon vor ihrer Zusage, dass dies einer dieser Fälle ist, der nicht gut enden kann.

„,Es hört wohl niemals auf, nicht wahr?‘, sagte Bessie. Dann fasste sie meine Hand und hielt sie fest, bis sie sich stark genug fühlte, sie wieder loszulassen.“ (S. 355)

Die zurückhaltende Beschreibung der sozialen Missstände nutzt die Autorin, um auf die Einzelschicksale und Nöte hinzuweisen. Bei der Lektüre fühlt es so an, als säße man in einem Zug, der aufgrund festsitzender Weichen unaufhaltsam auf ein unerwünschtes Ziel zurollt. Valerie Wilsons Detektivroman ist aus vielen Gründen modern, aktuell und kurzweilig und lädt ein, weitere von ihr kennenzulernen.

Valerie Wilson: Todesblues: Ein Fall für Tamara Hayle
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Gertraude Krueger
Diogenes Verlag, April 2024
288 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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