Ursula Poznanski: Oracle

Oracle war mal wieder ein Poznanski, der mir so richtig richtig gut gefallen hat. Schon in der Schule wurde Julian gemobbt. Jetzt ist er das erste Mal von zu Hause fort, zum Studium ist er in ein Studentenwohnheim gezogen und hat zum ersten Mal das Gefühl, dass es möglich wäre, Freunde zu finden. Denn das Mobbing kam nicht von ungefähr. Julian sieht Monster in manchen Menschen. Mal ist ein Teil des Körpers von einer giftigen roten Wolke verdeckt, Mal kommen Rauchschlangen aus dem Kopf. Als Kind hat ihm das Todesangst gemacht und seine Reaktion machte ihn zum perfekten Mobbingopfer. Viele Jahre Psychotherapie haben ihn gelehrt, dass das alles nur in seinem Kopf stattfindet, dass es bedeutungslos und ungefährlich ist, und mit den richtigen Medikamenten sieht er schon lange nichts Ungewöhnliches mehr.

Bis er sich nach langen Bedenken zum Klassentreffen wagt und danach begründete Zweifel hat, dass es sich wirklich nur um Trugbilder handelt. Vielmehr scheinen diese Bilder ihm etwas über die Zukunft der betreffenden Person zu verraten. Er muss sich entscheiden: Will er die Medikamente absetzten und wieder Trugbilder sehen oder will er einfach ignorieren, dass er vielleicht Unglücke verhindern kann.

Bei diesem Buch bin ich förmlich durch die Seiten geflogen. Julians Selbstzweifel und seine soziale Unbeholfenheit geben der Geschichte den letzten Schliff. Spannend fand ich vor allem, wie Ursula Poznanski aufgebaut hat, dass gar nicht so entscheidend ist, ob jemand Julian glaubt, sondern vielmehr, ob er selbst erwartet, dass ihm geglaubt wird und er selbst dem vertraut, was er herausfindet. Selbst mit glasklaren Beweisen versucht seine langjährige Therapeutin ihn immer noch davon zu überzeugen, dass das alles nur Auswüchse seines Gehirns sind und das Klassentreffen macht die Situation für Julian nicht besser, obwohl einige seiner alten Klassenkameraden durchaus offen und freundlich auf ihn zugehen. Aber eben nicht alle.

Der Leser zweifelt eigentlich nie und auch das macht die Faszination dieses Buches aus. Manchmal möchte mal Julian zurufen „Aber doch nicht so!“ Oder „Was muss denn noch passieren?“, aber er ist halt, wie er ist und das ist auch gut für die Geschichte.

Sehr spannender Roman mit leichtem Fantasy-Anteil über das Erwachsenwerden, den Wert von Freundschaften und das Überwinden von Verletzungen und Ängsten. In einem übrigens wunderschönen Einband, der sehr gut zur Story passt.

Ursula Poznanski: Oracle
Löwe, August 2023
432 Seiten, Hardcover, 22 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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