Katrina Nannestad: Wir sind Wölfe

Ostpreußen im Dezember 1944: Auf der Flucht vor der heranrückenden Roten Armee werden die 11jährige Liesl und ihre kleineren Geschwister vom Rest der Familie getrennt. Otto ist gerade 7 Jahre alt, Mia noch nicht einmal 2. Liesl muss Verantwortung übernehmen, dabei ist sie selbst noch ein Kind. Die Geschwister finden Unterschlupf in verlassenen Wohnhäusern, in Ställen, finden an manchen Orten Nahrung und wenigstens ein bisschen Sicherheit. Begegnungen mir russischen Soldaten und anderen auf sich allein gestellten Kindern bleiben nicht aus. Sie lernen zu betteln und zu stehlen. Sie haben nur ein Ziel – gemeinsam überleben. Das hatte Liesl ihrer Mutter versprochen.

Katrina Nannestad erzählt von der Flucht der Menschen aus Ostpreußen. Ich erlebe die Ereignisse aus der Sicht von Liesl. Sie hatte eine sorgenfreie Kindheit in einer liebevollen Familie, ist mit der kriegsverherrlichenden Propaganda des Hitlerregimes aufgewachsen und glaubt an den ruhmreichen Sieg der deutschen Wehrmacht. Doch die glückliche Kindheit endet von einem Tag auf den anderen. Mitten im Winter und zwischen den Fronten auf sich allein gestellt, muss sich das Mädchen um ihre Geschwister kümmern. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Otto meistert sie immer wieder die große Herausforderung, genügend Nahrung zu finden und für Baby Mia zu sorgen. Weiterlesen

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Terry Pratchett: Maurice, der Kater, gelesen von Volker Niederfahrenhorst

Der Kater auf dem Cover blickt mich mit strengen, wissenden Augen an. Maurice ist ein besonderer Vertreter seiner Art, er kann sprechen und lesen, genauso wie die Ratten in seiner Umgebung, die er aus eben diesem Grund jetzt nicht mehr frisst. Seitdem er aus unerklärlichen Gründen intelligent geworden ist, hat er auch erkannt, dass Geld der Schlüssel zu einem guten Leben sein kann. Als er eines Tages auf einen dumm aussehenden Jungen mit Flöte trifft, hat er die Geschäftsidee seines Lebens: Gemeinsam mit den Ratten und dem Jungen zieht er von Stadt zu Stadt. Die Ratten inszenieren eine Rattenplage, der Junge mit der Flöte gibt den Rattenfänger, der Lohn wird geteilt.

Das funktioniert gut, doch mit der Zeit ergeben sich Probleme. Es gibt immer mehr Orte, wo der schräge Trupp den Wachen ein Dorn im Auge ist. Noch ärger erscheint Maurice, dass die Ratten mit der Zeit ein soziales Gewissen entwickelt haben, etwas, das der Kater für völlig überflüssig hält. Sie wollen nicht länger von Gaunereien leben und träumen von einer Insel mit einem eigenen Königreich. Die Ratten finden, dass sie genug Geld zusammengetragen haben. Man beschließt, nach der nächsten Aktion aufzuhören und getrennter Wege zu gehen. Maurice willigt zähneknirschend ein. Doch Bad Blintz, wo die letzte Show steigen soll, erweist sich als gefährliches Pflaster. Das Rattenfänger-Show-Team bekommt es mit mehreren gefährlichen Gegnern zu tun. Weiterlesen

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Martin Suter: Einer von euch: Bastian Schweinsteiger

Martin Suter schätze ich seit „Small World“ als Autor guter Geschichten. In seinem aktuellen Buch wagt er sich mit der Romanbiografie von Bastian Schweinsteiger auf neues Terrain. Von letzterem wusste ich bis vor kurzem gerade mal, dass es ihn gibt, irgendwas mit Fußball und ich hätte ihn weder optisch noch faktisch von zum Beispiel Stefan Effenberg – auch ein Fußballer mit langem Namen – unterscheiden können. Die große Frage ist, ob es dem Autor gelingt, mir einen Menschen nahezubringen oder wenigstens zu erklären, dessen Leben, obwohl wir uns im gleichen Land befinden, mit meinem augenscheinlich nichts gemeinsam hat.

Um es kurz zu machen: Es ist gelungen – sowohl das Nahebringen als auch das Erklären. Aber so richtig zufrieden bin ich nicht.

Gleich zu Beginn stellt sich ein Gefühl von Vertrautheit ein. Ich lese von Kindheitserlebnissen, Familienunternehmungen, von kleinen Ängsten und großen Freuden und von behütetem Aufwachsen. Die Eltern erkennen das sportliche Talent und geben ihm Raum. Weiterlesen

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Juan Moreno: Glück ist kein Ort: Geschichten von unterwegs

Für den spanisch-deutschen Autor Juan Moreno braucht es zum Reisen vor allem Zeit und das Interesse am anderen Leben. Reisen ist Geduld und Zuhören. In seinem Buch „Glück ist kein Ort“ erzählt er von den Begegnungen mit Menschen in unterschiedlichen Gegenden der Welt. Reportageaufträge und Neugier brachten ihn nach Nord- und Südamerika, Indien oder Sibirien, aber auch nach Berlin, Kottbusser Tor. Er war dabei, als in Thailand Kinder aus einer überfluteten Höhle gerettet wurden oder als sich in Kolumbien die Guerillatruppen der Farc trotz Friedensvertrag neuformierten. Das Buch vereint Reportagen und Texte, welche mit nur zwei Ausnahmen bereits in Zeitschriften veröffentlicht worden waren, darunter auch Aufzeichnungen von den Stationen einer Weltreise, die ihn 2005/06 im Verlauf eines Jahres durch achtzehn Länder führte.

Moreno erzählt im Plauderton und doch sprachlich präzise. In den meisten Texten nimmt er sich mit seinen Befindlichkeiten zurück, seine Gedanken und Erlebnisse bleiben im Hintergrund. Er rückt Menschen vor Ort in den Fokus, lässt sie über ihr Leben erzählen. Oftmals sind es Biografien im Umbruch, wie zum Beispiel die des indonesischen Seenomaden Tadi, der mit seiner Familie auf einem Boot lebte, bis die Regierung den Menschen einen festen Wohnsitz aufzwang. Weiterlesen

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Carmen Maria Machado: Das Archiv der Träume

Das Traumhaus steht in Bloomington, Indiana, am Rande der Stadt, am Rande einer Wiese, neben dem Wald. Das Traumhaus ist Liebe, ist Leidenschaft, Glück, ist Vorwurf, Schuldzuweisung, Drohung. Es ist ihr Haus, sie hat es bezogen und nie richtig eingeräumt. Sie hat Liebe gegeben und Demütigungen, war zärtlich und unberechenbar.

Die amerikanische Autorin Carmen Maria Machado erzählt ihre eigene Geschichte. Erzählt von ihrer Beziehung zur Frau aus dem Traumhaus, welche zum Albtraum wurde. Diese Frau wird nie mit Namen genannt, sie ist immer nur „sie“. Sie ist schön, wirkt zerbrechlich und stark, sie ist die Traumfrau und ihre Liebe ist wie ein Wunder. Am Anfang besteht das Leben aus Lachen, gutem Sex und Leichtigkeit. Der Abgrund öffnet sich nur langsam, ist zunächst ein schmaler Spalt, über den sich mühelos springen lässt. Es gibt Streit, Eifersüchteleien, Kontrollversuche, später Hasstiraden, Beschimpfungen, manchmal Zärtlichkeiten.  Am Ende ist der Abgrund unüberbrückbar und lockt mit einem Sog aus Schuldgefühlen und Vermeidungsstrategien. Weiterlesen

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James Bernhard MacKinnon: Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen

Gǂkao  (gesprochen so ähnlich wie Gitkao) lebt in einem kleinen Dorf in der Kalahari. Die Menschen dort ernähren sich von der Jagd, sie besitzen nur das Nötigste. Früher hat Gǂkao als öffentlicher Bediensteter gearbeitet und Geld verdient. Inzwischen lebt er wieder bei seinem Volk.

Etwa seit der Jahrtausendwende ist der Konsum die größte Gefahr für unsere Umwelt. Der kanadische Journalist  J. B. MacKinnon beschäftigt sich in seinem Buch umfassend mit dem, was er fast schon euphemistisch als Konsumkultur bezeichnet. Er erläutert die Folgen – den enormen und ständig steigenden Verbrauch von Ressourcen und den damit verbundenen Ausstoß von CO2 ebenso wie den daraus entstehenden Müll. Zielsicher benennt er das Dilemma, in dem wir uns befinden: „Wir müssen aufhören, Zeug zu kaufen, aber wir können nicht aufhören, Zeug zu kaufen.“ (S. 22) Unser Leben ist darauf ausgerichtet, Dinge zu produzieren, zu verkaufen, zu entsorgen, damit wir neue Dinge produzieren, verkaufen, entsorgen können. Unsere Ausgaben erzeugen anderer Leute Einkommen und wir haben uns längst vom Prinzip der einfachen Arbeitsteilung verabschiedet, wir sitzen im Konsum-Hamsterrad. Weiterlesen

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Henning Ahrens: Mitgift

Greta Derking war bis vor kurzem die Totenfrau eines kleinen niedersächsischen Dorfes. Sie wurde gerufen, wenn es galt, einen Verstorbenen herzurichten – zu frisieren, zu maniküren und zu kleiden, bevor er seinen letzten Weg antritt. Nun im Alter fühlt sie sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen. Als ihr Nachbar, der einflussreiche Bauer Wilhelm Leeb, vor ihrer Tür steht und sie um ihre Dienste bittet, will sie zunächst ablehnen. Leeb, der sie vor vielen Jahren geheiratet hätte, wenn sie eine Mitgift in die Ehe hätte einbringen können. Als sie erfährt, wer der Tote ist, erklärt sie sich schließlich bereit.

Henning Ahrens erzählt die Geschichte der Familie Leeb über mehrere Generationen, Episoden aus vergangenen Jahrhunderten, detaillierte Schilderungen aus den letzten Jahrzehnten und kehrt immer wieder zurück zu jenem Augusttag im Jahre 1962, an dem Wilhelm Leeb an die Tür von Greta Derking klopft.

Die Leebs hatten sich im Laufe der Jahrhunderte einen kleinen Wohlstand erarbeitet, sie haben allen Widrigkeiten getrotzt. Es galt, das Familienerbe zu wahren, dafür war kein Opfer zu groß. Ahrens schreibt von Traditionen und Verpflichtungen. Über allem Geschehen liegt ein Schatten von Unbehagen, von stetiger Unzufriedenheit. Es wird selten gelacht. Weiterlesen

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Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus dem Untergrund (1864)

Dostojewskis Kurzroman „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ erschien 1864 in der Zeitschrift „Epoche“, deren Herausgeber er gemeinsam mit seinem Bruder Michail war.

Der Erzähler ist ehemaliger Beamter, der nach einer kleinen Erbschaft den Dienst quittiert und sich in seine Wohnung zurückgezogen hat. Er ist ein Außenseiter, hat keine Freunde und verabscheut seine Nachbarn. Verbittert, voller Rachsucht und Neid gegenüber den Menschen und in allen Punkten unzufrieden mit sich selbst, ist es ihm doch das größte Vergnügen, über seine Person zu schreiben. Er hält sich selbst für klug, für klüger als die meisten anderen und er beschreibt seine Klugheit als Fluch, weil sie ihn dazu verleitet, sich die Beweggründe seiner Handlungen vor Augen zu führen und zu erkennen, dass er genaugenommen nur aus Egoismus handelt.

Der Roman besteht aus zwei Teilen. Im ersten, eher essayistischen Teil lässt Dostojewski den namenlosen Erzähler seine Haltung zur Gesellschaft darlegen. Er hält sich bewusst abseits, zieht eine klare Trennung zwischen sich und den anderen und klagt über die Selbstzufriedenheit der „Menschen der Tat“, deren Dummheit jeden Zweifel an sich selbst verhindert.

Er zieht dabei den Bogen zu Zeitgeschehen und neuen Ideen. Der Erzähler wendet sich an imaginäre Gesprächspartner, die er mit „meine Herrschaften“ anspricht und diskutiert mit ihnen über das Wesen des Menschen, über Möglichkeiten, Menschen durch Bildung umzuerziehen und über die Definition von Vorteil und freiem Willen. Er vertritt die Meinung, dass Menschen zwanghaft wider die Vernunft handeln, um sich zu beweisen, dass sie es können. Ganz gleich, ob sie damit sich selbst schaden. Weiterlesen

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Antonio Muñoz Molina: Gehen allein unter Menschen

Das Buch „Gehen allein unter Menschen“ des spanischen Autors Antonio Muñoz Molina ist das Tagebuch eines Spaziergängers. Es gibt keine Handlung im klassischen Sinne. Der Erzähler durchstreift verschiedene Städte – Paris, Madrid, New York – er geht scheinbar ziellos durch Straßen, nur um des Gehens willen. Dabei beschreibt er seine Eindrücke, seine Gedanken. Er ist ein Sammler, er sammelt Worte, Meldungen, Gesprächsfetzen, Werbebanner. Er saugt jedes Stück Schrift und jede Information auf. Unterwegs mit Stift und Notizbuch, schreibt er auf, was ihm begegnet und was ihm dazu einfällt. Er bannt Geräusche mit der Aufnahmefunktion des Smartphones, sammelt Prospekte, Werbezettel, Plakate, um sie später in Collagen neu zu ordnen. Er zeichnet ein Porträt der Städte und der Menschen, die in ihnen leben.

Das Buch gliedert sich in viele kleine Abschnitte, meist nicht länger als eine Seite. Jeder Abschnitt beginnt mit einem fettgedruckten und programmatisch klingenden Satz, dessen Verbindung mit dem nachfolgenden Text sich nicht immer erschließt. Die Abfolge der beschriebenen Spaziergänge ist nicht linear, Ort und Zeit ändern sich von Seite zu Seite und sind auch nicht immer ersichtlich. Weiterlesen

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Raymond Chandler: Die Lady im See (1943)

„Die Lady im See “, im Original „The Lady in the Lake”, ist Chandlers vierter Roman. Er wurde im Jahr 1943 veröffentlicht und inzwischen auch schon mehrfach ins Deutsche übersetzt. Für die Neuedition hat der Diogenes Verlag in Robin Detje einen Übersetzer gefunden, der Chandlers Text gekonnt ins Deutsche übertragen hat.

Die Geschichte beginnt eher harmlos: Der Unternehmer Derace Kingley beauftragt Privatdetektiv Marlowe, seine Frau zu suchen. Chrystal Kingsley ist vor etwa einem Monat verschwunden. Sie war zuletzt in einer Blockhütte an einem kleinen See in den Bergen, bevor sie sich angeblich mit einem neuen Lover nach Mexico angesetzt hat. Kingsley will vor allem sicherstellen, dass seine zu Ladendiebstählen neigende Gattin ihm keinen Ärger macht. Marlowe fährt zum Ferienidyll der Kingsleys und findet eine Frauenleiche im See. Damit beginnt ein Verwirrspiel um Namen und Identitäten.

Die Tote wird als Muriel Chess identifiziert, die Frau des Hausverwalters Bill Chess, welcher behauptet, seine Frau habe ihn vor einem Monat nach einem Streit verlassen. In den weiteren Ermittlungen tauchen immer mehr Namen auf, vor allem blonde Frauen mit ausschweifendem Lebendstil, die selten sind, was sie zu sein vorgeben, und es gibt weitere Tote. Weiterlesen

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