Sind wir nicht alle ein wenig schräg? Und wäre es nicht schön, wenn es tatsächlich solch liebenswerte und sympathisch versponnene Menschen wie Ella, die Protagonistin dieses märchenhaften Romans, und ihre tief ins Herz blickende Oma gäbe?
Susanne Bohne erzählt uns die Geschichte von Ella, die, während ihre Mutter zu einer Dörrpflaume vertrocknet und ihr Vater zwischen den Stühlen sitzt, meist bei ihrer Großmutter Mina aufwächst. Den größten Teil ihrer Kindheit verbringt sie im Ruhrpott-typischen Schrebergarten von Mina, bis, als Ella acht Jahre alt ist, ein einschneidendes Erlebnis alles verändert.
26 Jahre später arbeitet Ella als psychologische Psychotherapeutin mit den absonderlichsten Patienten. Als da ist zum Beispiel der Herr Holdschick, der sich nicht in seinen Sessel setzen mag, weil er nicht darin sterben will. Herr Holdschick ist 45 Jahre alt. Oder Frau Flädle, die Ella für sich Frau Papillon nennt. Frau Papillon meint, Ella sei von einem Dämon besetzt. Und da ist Herr Oebing, der an Es-geht-mir-gut-Tagen ein Krümelmonster-T-Shirt trägt, To-Do-Listen schreibt und die bei ihm lebende Frau Traurigkeit pflegt und hegt.
Ella ist jetzt 34 und fühlt sich sehr einsam. Ihre Mutter lebt in Symbiose mit Ellas jüngerem Bruder, ihr Vater lebt in Spanien fern von allen Stühlen. Ellas wichtigste Bezugsperson ist immer noch Mina, die inzwischen sehr alt, sehr winzig und sehr durchscheinend geworden ist. Und Ellas beste und einzige Freundin seit Kindertagen Yvonne. Wie Susanne Bohne diese Freundschaft schildert, ist absolut bezaubernd und macht neidisch. Auf diese Schreibkunst und auf solch eine Freundschaft: „Yvonne half so gut wie gegen alles: gegen bockige Campingtische, gegen Läuse und Halsschmerzen, gegen Schlechtwetterfronten, gegen Engelbert und eine Fünf im Sport…“ (S.36)
Ja, so müsste man schreiben können, wie diese Autorin. Ihr gelingt, was wenige Schriftsteller können: die Balance zwischen gefühlvoll und erfrischend, zwischen Humor und Tiefgang über einen ganzen langen Roman hinweg zu halten, ohne in Kitsch oder Klamauk abzugleiten. Die Worte, Bilder und Szenen, mit denen Susanne Bohne die Liebe zwischen Mina und Ella beschreibt, sind hinreißend, anrührend, wunderschön. Und dabei ganz weit weg von Schmalz oder Klischee: „‚Komm, ich deck dich zu‘, sagte sie. Das sagte sie zu mir, seitdem ich auf der Welt war. In den richtigen Augenblicken. Es war das Schönste, das je jemand zu mir gesagt hatte, und es bedeutete mir mehr, als ein ‚Ich liebe dich‘ jemals hätte in die Waagschale werfen können.“ (S. 65)
Mina sieht im Inneren jedes Menschen ein Haus. Ellas Haus ist schräg und schief. Ellas größter Wunsch ist es, auch die Häuser in den Menschen sehen zu können, das ist der Grund für ihre Berufswahl. Mina spürt jeden Kummer, den Ella mit sich herumträgt und Mina kennt für jeden Kummer die richtige Kur. Dann legt sie ihre Hand auf Ellas, bis diese Minas Herzschlag „puckern“ spürt. Mina findet alles, was „unter der Eckbank“ verschwindet. Denn: Nichts geht ganz verloren. Und so ist Mina auch ganz sicher, dass Ella irgendwann den Mann fürs Leben finden wird, früher oder später. Doch Ella fällt es immer furchtbar schwer, sich zu entscheiden. Dann „zwurbelt sie die Waschkügelchen“ an ihrer Kleidung oder „wird zum Rosenbusch“.
In dieses Buch einzutauchen ist wie das Kriechen zwischen weiche Daunen oder das Gleiten in eine Wanne voll wunderbar duftendem, heißem Wasser. Oder das Spüren einer sanften Umarmung …
Poesie in Prosa. Zum Weinen schön.
Susanne Bohne: Das schräge Haus.
rororo, Dezember 2019.
352 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.