Stefanie Hansen: Für immer und ein Jahr

Man könnte ja meinen, Romane über das Sterben, Verlust, Trauer etc. gebe es inzwischen wie Sand am Meer. Stefanie Hansen hat dennoch einen weiteren geschrieben, der das Thema nochmal ein bisschen anders angeht.

Jan bleibt ziemlich verzweifelt zurück, als seine Frau Kaya viel zu jung an Krebs gestorben ist. Monatelang hat Jan Kaya begleitet, ihre Ängste geteilt, ihre Schmerzen versucht zu lindern, sich auf ihr Sterben vorbereitet. Sollte man meinen. Aber geht das überhaupt? Ist der Tod dann nicht immer doch „plötzlich“? Mit dem Verstand kann man sich vielleicht darauf einstellen, einen geliebten Menschen loslassen zu müssen – das Herz macht da nicht mit. Und blöde Sprüche wie: „die Zeit heilt alle Wunde“ oder „du wirst darüber hinwegkommen“ machen irgendwie alles nur schlimmer. So auch für Jan, der für seine beiden Kinder, Lina und Finn, da sein muss, seine Aufträge als Tischler erledigen muss und sehen muss, wie sie den Alltag ohne Kaya, ohne Ehefrau und Mutter bewältigen, sich neu organisieren.

Kaya hat Jan vor ihrem Tod das Versprechen abgenommen, ein Jahr lang alle Menschen zu ihrem Geburtstag anzurufen, die sie in ihrem ledernen über viele Jahre gestalteten, mit Fotos und Bemerkungen versehenen Geburtstagskalender notiert hat. Ja, Jan hat es ihr versprochen, aber am liebsten würde er das einfach vergessen. Das geht nur leider nicht. Versprochen ist versprochen, und ein Versprechen an Kaya, die ja nun eben nicht mehr da ist, kann er schon gar nicht brechen. Widerwillig nimmt er diese Herausforderung an. Er, der überhaupt nicht der redselige Typ ist und schon gar nicht gerne mit Fremden redet, er, der einfach Angst hat, dass seine Wunden bei jedem Telefonat wieder aufgerissen werden, jeder über seinen Verlust reden, ihm Trost spenden will, er geht es an! Er lernt neue Leute kennen, lernt, sich auch ihre Schicksale anzuhören, zu hören, wie andere mit Verlust und Trauer umgehen und wie sie damit zurechtkommen, weiterzuleben. Nicht nur zu funktionieren. Es fällt Jan nach wie vor nicht leicht, aber nach und nach merkt er, dass er sein Schneckenhaus verlassen muss. Er öffnet sich ein bisschen – sogar seinen Eltern gegenüber, für die er immer nur eine Enttäuschung gewesen ist, weil er, als er Kaya kennengelernt hatte, sein Maschinenbaustudium aufgegeben hat und „nur“ Tischler geworden ist, statt in die elterliche Firma einzusteigen.

Auch mit Lina und Finn findet sich langsam ein neuer Alltag. Aber glücklich zu sein, das schließt Jan für alle Zeiten erstmal aus. Er kann ja nicht mal ins gemeinsame Schlafzimmer gehen. Die Tür ist seit Kayas Tod verschlossen. Aber Kaya sorgt dafür, dass es für Jan nach und nach leichter wird. Ihre Stimme in seinem Kopf ist immer dabei. Kritisiert, motiviert und tröstet. Und dann findet Jan beim Aufräumen Kayas letztes Notizbuch, in dem sie ihm bereits vor ihrem Tod Mut macht, weiterzuleben, nicht nur zu funktionieren. Ein neues Glück zuzulassen. Das macht es für Jan endlich leichter.

Ein wunderbar trauriger Roman über das Loslassen, Verlust und Trauer, Neuanfang und Verarbeiten, über die Liebe und Freundschaft. Sehr emotional, die ein oder andere Träne werden Sie beim Lesen vielleicht verdrücken, aber durchaus auch humorvoll und leicht geschrieben. Ein Roman zum Dranbleiben – vor allem jetzt in dieser grauen Jahreszeit.

Stefanie Hansen: Für immer und ein Jahr
Fischerverlage, September 2024
Paperback, 368 Seiten, 16,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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