Das von Ärger geprägte Wortgefecht zwischen Helga und Jørgen endet mit einer Wette. Wenn Männer behaupten, Helga, eine moderne junge Frau, sei nutzlos, dann kann sie nur dagegen halten. Natürlich kann sie alles, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Und dann behauptet Jørgen im Kreis ihrer Freunde, sie könne niemals ein Jahr lang unerkannt als Dienstmädchen arbeiten. Für Helga gibt es kein niemals. Für einen Diamantring als Gegenleistung würde sie diese Aufgabe meistern. Erst nach dem Streit begreift sie, dass sie tatsächlich gewettet hat. Nun muss sie ihre Familie überzeugen und noch ganz viel erledigen.
Aus den Reaktionen ihres Umfelds entnimmt Helga, dass kaum jemand an ihr Durchhaltevermögen glaubt. Eine verwöhnte Fabrikantentochter, die nie im Haushalt arbeiten musste, so sagen sie, ist in der Diensttracht einer Hausangestellten einfach nicht vorstellbar. Dabei weiß jeder von ihrem Ehrgeiz, dem gerade abgeschlossenen Abitur mit den sehr guten Noten und den gewonnenen Trophäen beim Sport. Jørgen, der Frauenschwarm, kann ebenfalls eine Trophäe werden.
Die neunzehnjährige Helga lernt schnell, wie hart das Leben eines Dienstmädchens tatsächlich sein kann. Doch auf dem Gut Vinger wird sie wider Erwarten glücklich.
Die Autorin Sigrid Boo wurde 1898 in Oslo geboren. Zu Lebzeiten wurde die Autorin mit ihren zehn Romanen international bekannt und populär. Sie starb 1953.
Ihr 1930 veröffentlichtes Buch Dienstmädchen für ein Jahr wurde mehrmals verfilmt. Das Besondere an ihrem Briefroman dürften die spielerischen Erfahrungen der Ich-Erzählerin Helga sein, die in einer anderen Gesellschaftsschicht ihren Platz sucht. Wenn sie selbstbewusst, schlagfertig und offen für neue Erfahrungen auftritt, dann sind alle auf dem Gut Vinger mindestens irritiert. Aber gebildetes Personal kann auch hilfreich sein, finden die jungen Damen des Hauses und lassen sich von dem neuen Dienstmädchen gern schwierige Worte in französischen Romanen erklären.
Sigrid Boo pflegt einen lockeren, humorvollen Sprachstil, mit dem sie mehr als nur die Oberfläche bedient. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, dem Erstarken der Frauenrechte ist Helga mit ihren neunzehn Jahren ein Prototyp für moderne Romane. Die früheren Darstellungen in der Literatur zeigten die Dienstmädchen entweder als Opfer sexueller Übergriffe oder als aktive Verführerin. Die junge Helga muss nicht reich verheiratet werden, sie nimmt ihr Leben selbst in die Hand und erobert es. Ob sie zu den ersten Studentinnen zählen oder eine gleichberechtigte Ehefrau wird, wäre Thema eines fortführenden Romans. So oder so macht die spannende Lektüre Spaß.
Sigrid Boo: Dienstmädchen für ein Jahr (1930)
Kindler, Februar 2025
Gebundene Ausgabe, 264 Seiten, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.