Sarah Sands: Das Igel-Tagebuch

Dieses Buch ist so viel mehr, als der niedliche Titel vermuten lässt. Die britische Journalistin und ehemalige Chefredakteurin des London Evening Standards verbindet die stacheligen Tiere mit NATO, Nahtoderfahrungen, Märchen, britischer Lebensart und philosophischen Ansätzen. Wir erfahren Wissenswertes und Unbekanntes über die liebenswerten Igel. Zum Beispiel, dass sie schon zu Dinosaurierzeiten gelebt haben – und nun ausgerechnet von den Menschen an den Rand des Aussterbens gebracht wurden. Dabei scheint es niemanden zu geben, der Igel nicht liebt! Selbst umstrittene Politiker und Multimillionäre schmelzen bei den putzigen Vierbeinern dahin.

Tagebuch und Sachbuch in einem

Gefühlvoll und informativ zugleich verbindet Sarah Sands ihre eigenen Geschichten mit wissenschaftlichen Fakten. Hintergrund: Sands findet in ihrem Garten einen kranken Igel, den sie in eine Auffangstation bringt und sich damit zum ersten Mal näher mit den nachtaktiven Tieren befasst. Was fressen Igel wirklich? Wie müssen wir unsere Umgebung igelfreundlicher gestalten? Welche Gefahren lauern auf sie – Parasiten, Autos, Dachse? Gleichzeitig liegt Sarah Sands naturliebender Vater im Sterben. Dass nun ausgerechnet Igel „Peggy“ bei der Trauerbewältigung hilft, liest sich wunderschön. Sands stellt faszinierende Analogien her zwischen dem Winterschlaf des Igels – mehr als Schlaf, aber weniger als Tod – und dem schrittweise Dahingleiten ihres Vaters. Mittendrin Erkenntnisse wie „Liebe ist eine Beziehung zwischen Dingen, die sterben“ (S. 45).

Lieblingstier der Briten

Ausgestattet mit ihrer journalistischen Neugier begibt sich Sands auf Recherche, interviewt Biologen, Naturschützer und Menschen, die sich mit Igeln befassen. Zum Beispiel einen Multimillionär und Diamantenhändler, der zum absoluten Igel-Fan wurde und nun viel Geld investiert, um Igelstraßen anzulegen und Löcher in Mauern zu bohren. Die Briten wählten den Igel mal wieder zu ihrem Lieblingstier.  Ein Grund liegt in den Bilderbüchern von Beatrix Potter aus dem 19. Jahrhundert rund um „Frau Tiggy-Wiggel“. Sie verpasste dem Tier, das bis dahin als Krankheitsüberträger galt, ein neues Image, das bis in die Gegenwart anhält. So werden heute auf der Insel Schulen und Städte ausgezeichnet, die sich besonders für den Igelschutz einsetzen.

Doch wie soll der Igel mit der Klimaerwärmung zurechtkommen? In manchen Regionen halten die Tiere keinen Winterschlaf mehr. Dabei ist dieser für die Wissenschaft von größtem Interesse, beispielsweise für die Weltraumwissenschaft. Was ist mit Ökosystemen wie den Inseln der Hebriden, in denen die „künstlich eingeführten“ Igel großen Schaden bei der hiesigen Vogelwelt anrichten und daher nun wieder getötet und umgesiedelt werden müssen?

Es lebe die Igel-Philosophie!

Letztendlich schlägt die Autorin sogar den Bogen zur Igelphilosophie und den „Igel-Werten“. Es hat gute Gründe, warum der Igel als Symbol der NATO gilt oder warum Militärmanöver in Estland oder eine Freiwilligenarmee in der Ukraine „Igel“ genannt wurden. Grund: „Sie sind erfinderisch und selbstgenügsam und friedlich – aber sie verteidigen sich, wenn sie angegriffen werden.“ (S. 157). Putzig, tollpatschig, anti-aggressiv: Kein anderes Tier komme in Kinderbüchern so häufig vor wie der Igel. Dass viele Kinder heutzutage noch nie in ihrem Leben einen echten Igel gesehen haben, verdeutlicht die Dramatik der Entwicklung umso mehr.

Fazit: Sarah Sands ist ein wunderschönes Buch über Igel, die Natur und letztlich sogar über die Philosophie des Lebens gelungen. Sie kombiniert ihre persönliche Geschichte rund um den gefundenen Igel Peggy und den Tod ihres Vaters mit wissenschaftlichen Fakten über die Welt der 50 Millionen Jahre alten stacheligen Tiere. Als „Igel-Mama“ war ich von dieser Lektüre natürlich Feuer und Flamme. Aber selbst wenn Sie noch nie etwas mit Igeln zu tun gehabt haben – beim Lesen werden Sie den Wunsch verspüren, mit diesen Tieren in Kontakt zu treten. Können Sie auch. Denn Sarah Sands liefert To-Do-Checklisten für igelfreundliche Gärten in ihrem Buch mit dazu. Daher: Tschüss Mähroboter – hallo Laubhaufen und Vogelhecke. Es lohnt sich. Denn wie das Buch zeigt: Igelschützer leben glücklicher!

Sarah Sands: Das Igel-Tagebuch.
Aus dem Englischen von Sofia Blind.
DuMont, Oktober 2024.
176 Seiten, gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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