Rosie Talbot: Sixteen Souls: Wovor die Toten sich fürchten

Charlie ist ein Glückskind – auch wenn er sich selbst wirklich nicht so beschreiben würde. Nach einer schweren Meningitis war er fast eine halbe Stunde klinisch tot, bevor er dann doch wieder zu sich kam. Der Vorfall hat ihm seine beide Unterschenkel gekostet, seitdem plagt er sich mit drückenden Prothesen und einem Rollie herum. Sein Coming-out hat er auch schon einige Jahre vor sich hergeschoben – die Reaktion seiner Eltern möchte er sich wirklich lieber nicht vorstellen.

Viel belastender aber ist, dass er seit seinem Tod die Verstorbenen von York, also eher die, die nicht ins Licht gegangen, sondern hier festhängen, sehen kann.

Dass immer mehr der Geister verschwinden, bemerkt er zunächst nicht. Er hat genügend damit zu tun, Todesschleifen auszuweichen, die ihn grausam töten könnten.

Dann ist da noch ein Fremder, ein Typ, auch so um die 16 Jährchen alt, der ihn offensichtlich stalkt. Ein Geist ist der nicht, aber was will er nur von Charlie?

Als sich die Geister an ihn wenden und von einem Schattenmann berichten, der sich die Seelen schnappt, ahnt er, dass er Hilfe braucht – seine üblichen unstofflichen Gefährten werden nicht genügen – da kommt dann der Fremde, Sam genannt, ins Bild – dass sich die Beiden bei der Jagd auf den Schattenmann näher kommen steht auf der Haben-Seite, im Soll …

Auch der Loewe Verlag kann sich dem Zeitgeist nicht entziehen. Soll heißen, der Verlag, der uns die frühen Jugendwerke eines Kai Meyer kredenzte und nach wie vor die Skulduggery Pleasant Saga von Derek Landy publiziert und fortführt, versucht sich in queerer Romantasy.

Wie inzwischen üblich erwartet ein Zweiteiler – vorliegend der Auftaktband – uns. Zwei Bände lassen sich besser kalkulieren, die Verlage rechnen inzwischen bei Band zwei einer Reihe mit einem Käuferrückgang von 50 %, wobei die Halbwertszeit kurz ist. Ergo muss der zweite, abschließende Teil zeitnah veröffentlicht werden, sonst ist zumeist auch die angepeilte Hälfte der Leserinnen und Leser des ersten Bandes perdu.

Inhaltlich ist der Roman so schlecht nicht aufgebaut. Unser Protagonist ist tot gewesen, behindert, hat eine übersinnliche Gabe, Geister als Freunde und Verbündete und ist zudem noch schwul – da deckt man gleich mehrere Must-Haves ab.


Überraschend war für mich dann eher, dass ich im Verlauf der Lektüre mich immer mehr für den Erzähler erwärmte. Seine Art, sein Schicksal recht klaglos zu akzeptieren, weiterzumachen, die Anfeindungen und Ausgrenzungen wegzustecken, weckten nicht nur mein Mitgefühl, sondern auch meinen Respekt.

Die aufkommende Zuneigung der beiden Handlungsträger wird unauffällig eingebracht, im Zentrum bleibt – und dies ist gut so – die Suche nach der Bedrohung für die Geister. Zunächst aber muss unser Erzähler erst einmal mühsam dazu gebracht werden, die Bedrohung für die Geister ernst zu nehmen und sich der Queste anzunehmen. Da ist eine ganze Menge World-Building angesagt, die Suche ist anstrengend – für die Erzähler – und für uns spannend. Ergo also Treffer, TikTok told us so, da war der Roman nämlich schon lange ein Erfolg.

Rosie Talbot: Sixteen Souls – Wovor die Toten sich fürchten
aus dem britischen Englisch übersetzt von Ann Lecker
Loewe, Oktober 2024
411 Seiten, Taschenbuch, Euro 17,95

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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