Richard Swan: Im Namen des Wolfes: Die Chroniken von Sova 01

Helena ist eine Kanalratte aus den Straßen Muldas. Nach dem Tod ihrer Mutter – den Vater hat sie nie gekannt – lebte sie vom Diebstahl und vom Betteln. Dann kam Junker Konrad Vonvalt, gefürchtetes Mitglied des unbestechlichen Ordens der Richter, vor dessen Auge alle gleich sind und der den Kaiser selbst vertritt, und nahm sie zu sich. Er bildete sie als seine Schreiberin aus – drei Sprachen spricht sie inzwischen, trägt feine Kleider und selbst Adelige, Männer von Rang und Herkunft erschrecken, wenn sie der Beamtin der Krone begegnen.

Seit nunmehr zwei Jahren sind sie, begleitet von einem versierten Kämpfer, unterwegs im Reich, um Recht zu sprechen. Dass sich ihnen einige Zeit ein verbohrter Kleriker angeschlossen hat, erweist sich im Nachhinein als Krux.

Während sie noch in einer abgelegenen Stadt den Mord an der Ehefrau eines einflussreichen Händlers untersuchen, mehren sich im Reich die Zeichen dafür, dass die Macht neu verteilt wird.

Der Richterorden, der bislang alleine das Wissen um die Magie hütete, wurde verraten. Templerorden und Kleriker schließen mit machtgierigen Adeligen eine unheilvolle Allianz. Ihr Ziel – die Entmachtung der Richter, die Übernahme der Macht und die Errichtung einer klerikalen Herrschaftsordnung.

Zwischen ihnen und dem Erreichen ihres Ziels stehen nur Richter Konrad und seine Begleiter …

Was ist das für ein Roman – wie fast schon üblich, der Auftakt einer Trilogie, dessen zweiten Part im Original in diesen Tagen erscheint – den uns Piper hier anbietet?

Auf den ersten Blick erwartet uns ein Kriminalplot. Es geht um Diebstahl, Unterschlagung, Erpressung, ja Mord. Der Richter und seine junge Erzählerin machen sich auf die Suche nach dem oder den Schuldigen, nach Motiv sowie der Absicht der Verantwortlichen.

Dann stoßen sie auf eine Verschwörung, geraten in Gefahr, finden sich plötzlich und vornehmlich für den Richter komplett unerwartet am falschen Ende des geschliffenen Stahls wieder.

Es kommt zu Gefangennahmen, zu Kämpfen und Erpressungen. Dass es der Richter beherrscht, ins Reich der Toten zu wechseln, um diese dort zu vernehmen – eine Art Nekromantie, die ganz eigen ist – fügt der Deduktion einen übernatürlichen Touch hinzu.

Hauptfiguren wandeln sich

Im Verlauf des Geschehens, der persönlichen Anfeindungen, der Offenbarungen und der zunächst in den Wind geschlagenen Warnungen wandeln sich unsere beiden Hauptfiguren.

Der Richter wird uns zunächst als eine ganz in sich ruhende, integre Persönlichkeit vorgestellt. Er vertritt den Kaiser, mehr noch das Recht und verlangt und erhält dafür die ihm zustehende Anerkennung und Achtung. Als er erkennen muss, dass auch seine Feinde, für ihn zunächst unerklärlich, über die den Richtern allein bekannte Magie verfügen, reagiert er ungläubig, dann geschockt. Die persönlichen Angriffe, die Verletzungen seines Egos durch die Missachtung seine Position tragen dazu bei, dass sich sein inneres Wesen, seine Anschauungen wandeln. Aus dem gerechten Richter wird ein Mann, der persönliche Motive in sein Handeln einfließen lässt, der sich – auch – der Rache verschreibt.

Erste große Liebe

Helena auf der anderen Seite erlebt ihre erste große Liebe – eine Beziehung, die sie zwingt, ihre Stellung, ihre Zukunft zu überdenken und sich zu positionieren. Aus elenden Verhältnissen stammend, hat der Junker sie zu sich genommen, ausgebildet und auf eine anschließende Lehre als zukünftige Richterin vorbereitet. Ihr wacher Kopf, ihre ebenso einfühlsame, wie intelligente Art machen sie sympathisch. Sie dient Swan als Spiegelbild zum Junker – hier der Lehrer, der seine eigenen Überzeugungen über Bord wirft, der seine Integrität verliert – dort die junge Schreiberin, die sich, ihr persönliches Glück vor Augen, entscheiden muss, wie es weitergeht, ob sie dem Richter weiter folgt, ja ob sie auf ihn und seine Entscheidungen mäßigend Einfluss nehmen kann.

Abgerundet wird das Bild durch ein sich peu à peu abzeichnenden Bild eines Riesenreiches, das droht von innen auseinanderzubrechen. Habgier, Machtstreben, Verrat aus persönlicher Bereicherung drohen die Stabilität aufzuheben und die gesellschaftlichen wie politischen Errungenschaften – etwa die Gleichberechtigung der Völker im Vielvölkerstaat oder die Gleichheit aller vor dem Gesetz (den Richtern) – zu sprengen.

Das ist keine ganz einfache, aber eine süchtig machende Lektüre. Für mich war der Band mit Sicherheit der herausragende Titel bei Piper in den letzten Jahren. Wie kein anderer bietet er der Rezipientin respektive dem Leser die Möglichkeit, in eine faszinierend fremde, und doch in Detail bekannt scheinende, archaische Welt einzutauchen, das Schicksal zweier Figuren im Zentrum der Auseinandersetzung um die Macht mitzuverfolgen, zu beobachten, wie diese sich durch die Geschehnisse verändern und neu positionieren.

Hoffen wir, dass der Verlag uns auf die Fortsetzung nicht allzu lange warten lässt – und dass es dem Verfasser gelingt, sein Niveau zu halten. Certainly Recomended!

Richard Swan: Im Namen des Wolfes: Die Chroniken von Sova 01.
Aus dem britischen Englisch übersetzt von Simon Weinert.
Piper, Februar 2023.
528 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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