„Mit Aprikosen“ hat mich persönlich berührt, weil Kirgistan, das Land, in dem der im Frühjahr 2022 erschienene Roman von Oliver Hösli spielt, einer meiner Traumorte ist. Doch um das Buch genießen zu können, musst du dich nicht mit der Region auskennen oder gar jemals eine Vorstellung davon gehabt haben. „Mit Aprikosen“ ist, was es verspricht. Knackig – denn es ist kurz. Und bittersüß. Als würdest du in eine Aprikose beißen, der Saft dir am Kinn herunterlaufen und über die Hände, du beugst dich vor, damit dein T-Shirt sauber bleibt und im Nu hast du die Frucht verspeist und kannst dich nur noch ihres Nachgeschmacks erfreuen.
Dabei ist es sehr schade, dass das Buch so kurz ist bei einer Geschichte, die sich länger hätte erzählen lassen. Es geht um die mondschöne Kirgisin Aisuluu und den schweizerischen Ethnologen Willi, der sich Hals über Kopf in sie verliebt. Doch gefangen in Zeit und Raum werden die beiden gleich den Wellen des Issyk-Kul immer wieder voneinander fort- und aufeinander zu geschwemmt, können sich weder halten noch loslassen. Zwei Menschen verlieren sich – und damit meine ich nicht nur einander, sondern auch sich selbst – und finden doch irgendwie immer wieder zusammen unter den Aprikosenbäumen in Kadzhi-Sai.
Überraschenderweise schafft das Buch es, dabei kein süffiger Liebesroman zu sein, sondern auch den Rest der Welt mit all ihren Problemen und Möglichkeiten miteinzubeziehen. Hösli thematisiert nicht nur komplizierte und kulturübergreifende Liebesverhältnisse, sondern spricht auch Teile der kirgisischen Geschichte an, entführt in eine zentralasiatisch stillgestandene Märchenwelt und spricht über Themen, die zu oft totgeschwiegen werden. Willi und Aisuluu trennt nicht nur die Weite der Welt, auch ihre ganz persönliche Vergangenheit und Zukunft, ihre Entstehung und ihr Werdegang sind ausschlaggebend für ihr Verhältnis zueinander. Vor allem Willi muss eine weit größere Entfernung zurücklegen, als die 5000 km aus der Schweiz nach Kirgistan, um bei Aisuluu und sich selbst anzukommen und endlich bleiben zu können.
Für mich hat es einen Moment gedauert, in die Geschichte hineinzufinden, denn sie ist schnell und trotz ihrer Süße dauerhaft bitter. Eine Sommerstille liegt über ihr und auf manchen Seiten hatte ich das Gefühl, von ihr erdrückt zu werden. Doch gleichzeitig ist es gerade diese Sommerstille, die Siesta mit sich bringt, heiße Trägheit und nie enden wollende Badetage – Es ist eine Zeit des Sonne-Genießens und des Sich-nach-Schatten-Sehnens und genau diesen Konflikt greift der Roman auf und zwirbelt ihn in feine Verse, die ein Beinahe-Gedicht auf 144 Seiten entstehen lassen. Diese Poetik des Geschichtenerzählens finde ich persönlich sehr schön, doch auch sie erschwert das Sich-Fallenlassen in den Roman. Genauso wie die Dialoge des Romans, die auf mich zunächst sehr weltfremd wirkten und keinen Anspruch auf Realität zu stellen schienen. Aber auch hier – Alles eine Frage der Betrachtung. Nach ein paar Seiten ließ ich mich darauf ein und entschied für mich, dass in diesem Buch, das so weit weg spielt und doch meist nah wirkt, Dialoge nicht meiner Realität entsprechen müssen, sondern nur der des Buches. Und dorthinein passen sie. So schnürt Hösli durch den Ort, die Liebesgeschichte, die Sprache und die Dialoge eine Erzählung, die die Grundstimmung des Romans wiedergibt: Stillstehend fern und immergültig sowie gleichzeitig schnell, in Bewegung und realitätsgeprüft.
Ich für meinen Teil habe jetzt nicht weniger Fernweh als zuvor und möchte gern einmal am Strand von Kadzhi-Sai liegen und Aprikosen naschen, während die Wellen des Issyk-Kul um meine Beine streichen und mir eine Liebesgeschichte flüstern.
Oliver Hösli: Mit Aprikosen.
Edition Monhardt, März 2022.
144 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.