Michael Köhlmeier: Wenn ich wir sage

Michael Köhlmeier wurde für sein literarisches Schaffen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Vor einigen Jahren erlangte er durch seine Schilderungen der antiken Sagenwelt im Fernsehen zusätzliche Bekanntheit. (bei Interesse: viele Folgen sind auf Youtube verfügbar)

In seinem nun vorliegenden Buch beschäftigt sich Köhlmeier mit der Frage nach dem ‚Wir‘. Was bedeutet es, ‚Wir‘ zu sagen? Wer sind ‚Wir‘? Und gibt es unterschiedliche Bedeutungen des ‚Wir‘ in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext?

Ein Thema, das nicht so zugänglich ist, wie es zunächst scheinen mag. Und ein Thema, mit dem sich zu beschäftigen auch gar nicht so philosophisch und realitätsfern ist, wie man zunächst vielleicht vermuten könnte. Denn der Umgang mit dem ‚Wir‘ definiert unseren Umgang mit den Menschen, die um uns herum sind. Mit unserer Familie, mit unseren Freunden und mit allen anderen Menschen, die uns alltäglich umgeben.

Gerade beim letzten Punkt wird die Aktualität und Wichtigkeit von Köhlmeiers Überlegungen deutlich. Welche Bedeutung hat das ‚Wir‘, wenn wir an das Land denken, in dem wir leben? Sind ‚Wir‘ dann alle Menschen, die in Deutschland (oder Österreich, Europa … ) leben? Ganz egal, ob sie ursprünglich in einem anderen Teil der Welt geboren wurden? Oder bezieht sich dieses ‚Wir‘ nur auf die Menschen mit der ‚richtigen‘ Nationalität?

Köhlmeier behandelt diese Fragen in wunderbarer und gedanklich klarer Art und Weise. Er bezieht dabei immer wieder Gedankengut von Ralph Waldo Emerson, Michel de Montaigne und anderer in seine Überlegungen mit ein. So entsteht nach und nach ein Plädoyer für eine offene Gemeinschaft, in der ‚Wir‘ alle eine Heimat und eine Zukunft finden können.

Wer sind wir, wenn wir uns im Freundeskreis bewegen? Wer sind wir, wenn wir an unsere Familie denken? Und wer sind wir, wenn wir an unsere Nationalität und unsere Heimat denken? Köhlmeier bietet keine abschließenden Antworten auf diese Fragen. Das kann er gar nicht und das will er vermutlich auch gar nicht. Mit zum Teil sehr persönlichen Schilderungen leitet er den Leser aber wunderbar dazu an, sich seine eigenen Gedanken zu machen und das Gelesene für sich selbst zu verarbeiten.

Mit nur 96 Seiten lässt sich das Büchlein mit geringem zeitlichen Aufwand auch zwischendurch lesen. Es fügt sich damit in die Reihe einer zunehmenden Zahl an eher knappgefassten Veröffentlichungen ein, die zum Ziel haben, uns zum Nachdenken über uns und die Welt um uns herum anzuregen. Etwas, das Köhlmeier absolut gelingt.

Ich schätze das Werk von Michael Kohlmeier sehr und bin auch von diesem Buch, bei dem es sich eigentlich um einen Vortrag handelt, den er in Graz hielt, begeistert. Für mich ist Köhlmeier einer der intelligentesten und sprachlich brillantesten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Ich finde, es lohnt sich immer zu lesen, was er schreibt. Auch diesmal.

Michael Köhlmeier: Wenn ich wir sage.
Residenz, September 2019.
96 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Christian Rautmann.

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