„Der unangefochtene Lieblingsort im Louis C. Jacob ist und bleibt unsere wunderschöne Lindenterrasse. Die Schiffe auf der Elbe beobachten, Kaffee und Kuchen genießen oder später am Abend einen Sundowner trinken und der Sonne dabei zusehen, wie sie langsam untergeht. Hier erleben Sie Hamburg von seiner schönsten Seite.“
Unter anderem diesen Eintrag können Sie heute lesen, wenn Sie „Lindenterrasse“ bei Google eingeben. Die Lindenterrasse, um die es im gleichnamigen Roman geht, ist der Ursprungsort der hier angepriesenen Terrasse eines Nobelhotels an der Elbchaussee im heutigen Hamburg. Damals noch weit vor den Toren Hamburgs, in Nienstedten im Herzogtum Holstein-Pinneberg, Königreich Dänemark gelegen und Teil der Konditorei von Paridom Burmester, der allerdings weit über das kleine Dorf hinaus für seine Pâtisserien und Zuckerbäckereien berühmt gewesen sein soll. Micaela Jary hat auch hier, wie schon in der Trilogie um „Das Kino am Jungfernstieg“ wieder einen Blick auf die Geschichte ihrer Heimatstadt und die Entwicklung eines besonderen Stadtteils geworfen.
Die Figuren der Maria Burmester und des Daniel Louis Jacques, später Jacob, sind real, ihre Geschichte weitgehend an der Realität orientiert, natürlich mit der Freiheit eines Romans. Dennoch erfährt man viel über die Lebensumstände der Menschen in der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Beispielhaft am Leben der Maria, die durch ein tragisches Unglück zur Witwe wird. Wie soll sie als junge Frau mit fünf Kindern im Alter von drei bis dreizehn Jahren ihre Existenz sichern, die Konditorei weiterführen? Am einfachsten wäre es für sie sicher, dem Drängen des aufdringlichen und eher unsympathischen Hoteliers nachzugeben, der sich ohnehin seines Sieges sicher zu sein scheint und vor keinem fiesen Mittel zurückschreckt, um sein Ziel zu erreichen. Die Konditorei samt wunderschönem Grundstück und Maria als Ehefrau obendrein. Doch Maria kämpft.
Unterstützung bekommt sie vom Kunstgärtner Daniel Louis Jacob, der beauftragt ist, für einen reichen Kaufmann in unmittelbarer Nachbarschaft zu Marias Grundstück einen Park zu gestalten. Als sein Auftraggeber ein Fest ausrichten möchte, um die Dame seines Herzens zu beeindrucken, entsteht der Gedanke, Marias Terrasse, von der aus man einen wunderbaren Ausblick auf die Elbe hat, zu nutzen, da Joachim Grafs Haus noch nicht ganz fertig ist. Um das Ambiente noch schöner zu gestalten, lässt Daniel Linden anschaffen. So wird die Terrasse zur „Lindenterrasse“ als die sie später berühmt werden soll. Ob die – im Roman recht komplizierte – Liebesgeschichte zwischen Maria und Daniel wirklich so verlaufen ist, sei dahingestellt. Fakt ist, es hat sie gegeben und sie führte zu einer noch recht langen und kinderreichen Ehe. Die Konditorei wurde zum Grundstein des heutigen Nobelhotels an der Hamburger Elbchaussee.
Personen und Orte im Roman werden sehr authentisch und bildhaft beschrieben. Die Protagonisten werden liebevoll gezeichnet, man kann sich gut in die Charaktere hineinversetzen. Der Stil ist flüssig und die Geschichte anschaulich erzählt. Man bleibt gerne dabei. Ein gelungener historischer Roman, der einem Zeit und Gegebenheiten wirklich nahe bringt, wenn man eben nicht nur schmökern möchte, sondern sich auch ein bisschen für die Geschichte hinter der Geschichte interessiert.
Micaela Jary: Die Lindenterrasse: Ein Juwel am Elbstrand
Fischerverlage; August 2024
464 Seiten; Taschenbuch; 13,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.