Madita Oeming: Porno: Eine unverschämte Analyse

Zum Einstieg sei ein gedankliches Experiment erlaubt: Ein Mensch kommt nach Hause und hat Lust auf ein bestimmtes Essen. Dieser Mensch geht in die Küche und nimmt sich Lieblingszutaten und -gewürze. Irgendwann ist das Essen zubereitet. Der Gaumen freut sich und recht schnell auch der knurrende Magen. Niemand würde in dieser privaten Situation eine Einmischung von fremden Menschen zulassen, die vorschreiben, was wann und wie auf den Teller kommt. Die Frage, warum diese Erlaubnis für den noch intimeren Bereich des Schlafzimmers im Hinblick auf die Akzeptanz von Tabus und Konventionen bereits gegeben worden ist, dürfte hoffentlich irritieren. Warum schenken wir anderen in unserem privaten, intimsten Bereich so viel Einfluss?

Ohne darüber nachgedacht zu haben oder dies zu hinterfragen, haben die meisten Menschen gesellschaftliche Konventionen an- und übernommen. Jeder will normal sein. Jeder will dazugehören. Doch was normal ist, legen Traditionen, Religion oder öffentliche Personen fest. Die eigene, ganz persönliche Sexualität hat sich dabei nach fremden Menschen ausgerichtet. Wer sich zum Beispiel an religiöse Vorgaben orientiert, der lebt nach dem keuschen Model: hetero, verheiratet und monogam. Nur für die Zeugung des Nachwuchses ist der Beischlaf erlaubt, ein Akt aus Pflichtgefühl und (hoffentlich) ohne Lustempfinden. Es gab Zeiten, da lief es anders.

Die Autorin und unabhängige Pornowissenschaftlerin Madita Oeming zeigt in ihrem Buch, aus welchen Gründen eine Entfremdung zur eigenen Sexualität stattfinden konnte. Bei der anspruchsvollen Lektüre fällt auf, dass es über die Politik immer wieder zu Geboten und Verboten gekommen ist, um insbesondere bei Frauen und Kindern Bildungslücken, eine Bevormundung und gleichzeitig eine Gefährdung zu erzeugen.

Das Schüren der Angst vor Pornos, den Gefahren, in denen sich die sogenannte Generation Porno befinden soll und vieles mehr werden von der Autorin differenziert und wissenschaftlich fundiert in einen anderen Kontext gerückt. Die Kernfrage, „was machen Pornos mit uns?“ Sollte genaugenommen heißen: „Was machen wir mit Pornos?“ (S. 218)

Die unterschiedlichen Facetten dieser Unterhaltungsindustrie spiegeln die unterschiedlichen sexuellen Bedürfnisse einer Gesellschaft wider. Dies könne man auch auf die diversen Genres der Filmindustrie übertragen, bei der Zuschauer Horror, Action, Mord, Romantik, Komödien und vieles mehr zu ihrem Zeitvertreib auswählen.

„Im schlechtesten Fall sind Pornos eine ungesunde Flucht … Im besten Fall sind Pornos ein befreiendes Unterhaltungsmedium, das uns bei der Selbstakzeptanz unterstützt … und … sexuell zufriedener sein lässt.“ (S. 217)

Wenn von der Politik auf der einen Seite Gleichberechtigung und Diversität versprochen wird, darf das Ausleben der eigenen Sexualität nicht durch Deutungshoheiten und Verboten eingeschränkt werden. Warum Frauen, Männer und andere hierbei noch immer so unterschiedlich bewertet werden, zeigt, wie es tatsächlich um die persönliche Freiheit bestellt ist. Noch immer lassen wir uns von Moralaposteln vorschreiben, was normal, gesund und gesellschaftlich konform im eigenen Schlafzimmer geschehen darf.

Das Leben ist bekanntlich bunt. Und der Kölner sagt, jeder Jeck ist anders. In diesem Sinne dürfen die persönlichen Bedürfnisse dies auch sein, und man sollte angstfrei darüber reden. Dann erführe man, dass überall nur mit Wasser gekocht wird und sich über diese Gemeinsamkeit hinaus unterschiedliche Zutaten ergeben. Manche möchte man ausprobieren und andere eher nicht.

Madita Oeming fragt: „Die sogenannte sexuelle Revolution ist ein unvollendeter gesellschaftlicher Emanzipationsprozess – wie können wir ihn zu Ende oder zumindest weiterbringen?“ (S. 220) Sie zeigt in ihrem Buch Mut zur Offenheit. Dies ist nicht selbstverständlich, aber auf jeden Fall notwendig.

Madita Oeming: Porno: Eine unverschämte Analyse
Rowohlt Taschenbuch, August 2023
256 Seiten, gebundene Ausgabe, 20,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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