Lone Theils: Das Meer löscht alle Spuren

Normalerweise arbeitet die Journalistin Nora Sand nicht für die Sparte Kultur. Trotzdem soll sie den iranischen Dichter Manash Ishmail interviewen. Dieser wurde auf sie aufmerksam, als er in einem dänischen Auffanglager zufällig erfährt, Nora Sand sei London-Korrespondentin für ein dänisches Magazin. Weil Manash seit seiner Ankunft in Dänemark mit Interviewanfragen überschüttet wird, trifft er mit Nora und ihrem Chef eine Vereinbarung. Für ein Exklusivinterview soll Nora in London die verschollene Ehefrau des Dichters suchen. Erste Spuren weisen auf ein privat geführtes Auffanglager für Asylanten hin, das wie ein Hochsicherheitstrakt kaum zugänglich ist. Und je tiefer Nora gräbt, um so häufiger tauchen Indizien auf, die aus der banalen Geschichte einer Verschwundenen eine brisante Story über eine kriminell agierende Organisation machen. Bei ihren Recherchen kommt Nora den Hintermännern so nahe, dass es nicht nur für sie persönlich gefährlich wird.

Lone Theils hat bereits zwei Kriminalromane über die Arbeit der Journalistin Nora Sand geschrieben. Sie selbst war jahrelang London-Korrespondentin für eine dänische Zeitung und arbeitete ebenfalls für Radio und Fernsehen. Und weil sie genau weiß, worüber sie schreibt, und wie journalistische Arbeit funktioniert, wirkt Nora authentisch, kompetent und fast schon zu gut für die grell-laute Medienwelt. Denn die junge Frau fällt durch ihr uneigennütziges Engagement auf, liebt wie ihre Erfinderin Kickboxen und möglicherweise auch gutes Essen. Wie im normalen Leben bringt Noras Privatleben eine Eigendynamik in die Ermittlungsarbeit. Denn ihre Beziehung zu Andreas, einem Polizisten, steht gerade auf der Kippe, weil dessen Exfreundin von ihm schwanger ist. Natürlich will die Exfreundin Kind und Vater und bringt mehr Chaos in Noras Leben, als sie zunächst vermutet. Um auf andere Gedanken zu kommen, stürzt sich Nora umso mehr in die Recherche.

Die Krimi-Vielleserin darf sich auf ein unverbrauchtes Thema mit bewährten Zutaten freuen, ohne die vorherigen Bücher kennen zu müssen. Die Autorin braucht für ihren unterhaltsamen Kriminalroman keine übermäßige Brutalität. Der sanfte Ein- und Ausstieg rahmt eine rasant erzählte Geschichte, die jederzeit in einem kleinen Zeitungsartikel auftauchen könnte. Für einen Moment öffnet sich eine Tür, die einen Blick auf kaltblütige Gewinnoptimierung ermöglicht. Man muss nur genau hinsehen und begreifen.

Lone Theils: Das Meer löscht alle Spuren.
rororo, April 2018.
416 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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