Kate Kirkpatrick: Simone de Beauvoir: Ein modernes Leben

Als Simone de Beauvoir 1908 in eine großbürgerliche französische Familie hineingeboren wurde, ahnte wohl niemand, was sie im Laufe ihres Lebens bewegen und verändern würde. Die promovierte Philosophin Kate Kirkpatrick beginnt ganz am Anfang und nimmt uns mit in eine Zeit vor über hundert Jahren. Sie erzählt von der kleinen Simone, die am liebsten draußen gespielt hat, aber sehr bald auch – gefördert von Mutter und Vater – das Lesen entdeckte, vom finanziellen Abstieg der Familie, von Freundschaften und erster Liebe. Sie beschreibt ihren Eigensinn, ihre Durchsetzungskraft, aber auch ihre Zweifel und ihre Niederlagen auf dem Weg zu einer der einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.

„Beauvoir war eine herausragende Gestalt: Viele ihrer Leistungen waren beispiellos und bahnten den Weg für künftige Frauen“, schreibt die Autorin in der Einleitung. Doch nicht nur in Bezug auf die Befreiung der Frauen von gesellschaftlichen Zwängen hat Simone de Beauvoir Großartiges geleistet. Mit philosophischen und politischen Essays, Reiseberichten, Romanen, journalistischen Arbeiten, Sachbüchern und Autobiografien hat sie ein reichhaltiges Werk hinterlassen, das nachwirkt.

In den letzten Jahren wurden weitere Briefe und Tagebücher von Simone de Beauvoir veröffentlicht, die Kate Kirkpatrick mit den bekannten Dokumenten und der öffentlichen Wahrnehmung von Beauvoir in Beziehung setzt. Ihr beeindruckendes Porträt wirft ein neues Licht auf die Philosophin und Autorin. Denn obwohl Simone de Beauvoir eine vierbändige Autobiografie veröffentlicht hat und mehrere Biografien über sie vorliegen, gibt es immer noch Neues zu entdecken. Manche Geschehnisse hat sie wohl – aus verschiedenen Gründen, wie Kate Kirkpatrick zeigt – bewusst in ihren Schriften verschleiert.

Lange Jahre wurde sie in der Öffentlichkeit häufig nur als Muse und Geliebte Jean-Paul Sartres wahrgenommen. Ihre eigene Leistung wurde dabei meist unter den Teppich gekehrt, verhöhnt oder verunglimpft, ihre Originalität in Frage gestellt. Kate Kirkpatrick zeigt, dass Simone de Beauvoir eine eigenständige Denkerin war, die (auch schon vor der Bekanntschaft mit Sartre) eine Philosophie der Freiheit entwickelt hat und deren Ideen auch in Sartres Werk eingegangen sind. Der Einfluss beruhte auf Gegenseitigkeit, der permanente geistige Austausch und die Kritik brachte beide voran und war für sie äußerst bedeutsam. Dabei wurde es Simone de Beauvoir im Verlauf ihres Lebens immer wichtiger, politisch und gesellschaftlich wirksam zu sein. Noch heute kann man Veränderungen in der Gesellschaft spüren, die auf ihren Ideen beruhen. Zu ihren Lebzeiten war sie vielen einen Schritt voraus – sei es in ihrem Lebensentwurf oder in ihrem Denken – und stieß deshalb häufig auf Unverständnis.

Die lebenslange Verbindung zwischen Beauvoir und Sartre ist hinlänglich bekannt, doch sie war weniger körperlich als intellektuell. Beide führten eine offene Beziehung und hatten Geliebte (bei Simone de Beauvoir waren sie männlich und weiblich). Das war nicht immer einfach und führte auch zu Streitigkeiten und Eifersucht, aber dieses Leben hatten beide gewählt und stellten es nicht grundsätzlich in Frage. Doch zumindest Beauvoir war bewusst, dass sie dabei manchmal die Gefühle der anderen verletzten.

Wie sich Simone de Beauvoir als Philosophin, Autorin und Frau über die Jahre entwickelt und verändert hat, hat die Autorin Kate Kirkpatrick detailliert recherchiert. In „Simone de Beauvoir: Ein modernes Leben“ berichtet sie kenntnisreich und genau über die verschiedenen Dimensionen der Frau, die manche als Ikone der Frauenbewegung verehren. Man spürt zwar ihre Sympathie, doch sie bleibt sachlich und lässt auch die Schattenseiten nicht aus. Das ist spannend, erhellend und macht Lust darauf, Beauvoirs Bücher unter einem ganz neuen Blickwinkel (wieder) zu lesen. Klare Empfehlung für alle, die sich für Philosophie, Literatur oder einfach für die Geschichte einer ganz besonderen Frau interessieren.

Kate Kirkpatrick: Simone de Beauvoir: Ein modernes Leben.
Piper, April 2020.
528 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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