Karen Sander: Der Strand: Vermisst

Als Lilli noch ein Baby war, verschwand ihre Mutter am Strand. An dem Tag hatte diese noch vor, endlich ihren Eltern zu erzählen, wer der Kindesvater ist. 19 Jahre später verschwindet auch Lilli am Strand. Dies behauptet ihre beste Freundin, die sich mit Lilli in der Nähe des Bunkers treffen wollte. Möglicherweise wurde sie entführt, manche in dem beschaulichen Ort Sellnitz glauben sogar an ein Tötungsdelikt.

Kriminalhauptkommissar Tom Engelhardt lässt schneller als üblich den Wald und Strand durchsuchen. Die taube Lilli gilt als besonders schutzbedürftig. Vom LKA aus wird ihm kurzfristig Mascha Krieger zur Seite gestellt. Die Kryptologin soll chiffrierte Nachrichten von Lillis Handy entziffern. Sie beginnen mit den Ermittlungen, ohne dass sie die Indizien zu einem Bild zusammensetzen können. Denn die Menschen aus Lillis Umfeld scheinen mehr zu verschweigen, als sie sagen. Vielleicht bleibt Lilli aus diesem Grund verschwunden.

Bevor Karen Sander eine erfolgreiche Autorin wurde, arbeitete sie als Übersetzerin und dozierte an der Universität. Ihr Vorliebe für eine bestimmte Art der Unterhaltungsliteratur zeigte sie, als sie über die Britin Val McDermid promovierte. In ihrer Trilogie um das Verschwinden junger Frauen in der ehemaligen DDR beschreibt die Autorin eine weitläufige, wenig besiedelte Landschaft an der Ostsee, in der der Zusammenhalt der Bewohner an erster Stelle steht. Man kennt sich, man sieht sich und macht miteinander Geschäfte. Es wird ein großer Personenkreis vorgestellt. Jeder einzelne Charakter ist so angelegt, als könne er eine wichtige Rolle spielen.

Tom Engelhardt und seine kleine Tochter leiden am Tod der Ehefrau und Mutter. Während Romy von den anderen Kindergartenkindern gemobbt wird, ist der unter Schlafmangel leidende Tom tablettensüchtig geworden. Und Mascha ermittelt privat in den Geheimnissen ihrer Familie, die mit kriminellen Handlungen in dem System der DDR verbunden sind.

In dem erfundenen Kosmos von Sellnitz agieren offensichtlich bis auf ein paar Drogendealer in der weiteren Umgebung keine Kriminellen. Dafür agieren im Hintergrund Strippenzieher mit dubiosen Immobiliengeschäften, bei denen nicht nur der „Oma ihr kleines Häuschen“ gestohlen wird.

Karen Sander hat in vielen Szenen parallele Handlungen eingeführt. Daraus entsteht eine kurzweilige Geschichte, in der die Beteiligten unterschiedlich motiviert mit- oder gegeneinander arbeiten. Bei der Lektüre spürt man, dass unter der breitgefächerten Oberfläche noch so einiges verborgen ist. In einer Zwischenbemerkung erklärt die Autorin, sie habe ein schockierendes Ende vorbereitet. Das offene Ende im ersten Teil macht es darüber hinaus unvorstellbar, nur den ersten Teil zu lesen und die anderen nicht. Diese werden im März und Juni 2023 erscheinen.

Karen Sander: Der Strand 01: Vermisst.
Rowohlt, Dezember 2022.
400 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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