Zugegeben, anfangs tat ich mich schwer mit dem Protagonisten des neuen Romans „Die besten Fehler meines Lebens“ von Julietta Henderson, deren vor zwei Jahren erschienenes Debüt ein absolutes Highlight war. Zu Beginn habe ich sehr gefremdelt mit Danny, empfand ich ihn als anstrengend, gelinde gesagt und fand so gar keinen Zugang zu ihm.
Ganz anders Wolfie, seine 15-jährige Nichte, ein ganz und gar liebenswertes Mädchen, voller Zweifel, innerer Wunden und doch so übervoll mit Liebe. Ein Mädchen, das man die ganze Zeit am liebsten in den Arm nehmen und vor allem Unbill beschützen möchte.
Doch im Laufe der Geschichte wandelt sich Danny und man kann gar nicht anders als ihn liebzugewinnen. Denn dann erkennt man seinen wunderbaren, liebevollen, zärtlichen Kern, findet man den Mann in ihm, der alles tut für seine Familie und die Menschen, die er liebt.
Es beginnt mit einer Verhaftung. Danny wird erwischt, wie er ein Graffiti auf die Straße malt. Bei seiner Festnahme wird er fotografiert und dieses Foto erscheint in der Zeitung. So findet ihn seine Nichte Wolfie, die bislang ebenso wenig von ihm wusste wie er von ihr. Denn er hat seine über alles geliebte Schwester Lou, Wolfies Mutter, seit viel zu vielen Jahren nicht mehr gesehen, nachdem er ihr auf ganz grausame Art wehgetan hatte. Etwas, woran er seither verzweifelt und weshalb er im Grund auch nie wirklich einen Fuß auf die Erde brachte.
Fast etwas überirdisch
Deswegen auch wohnt er nur in einer Gartenhütte auf dem Grundstück seines besten – und einzigen – Freundes Dom. Der Witwer lebt in der Villa zusammen mit seinem 6-jährigen Sohn George und dem Hund Gentleman. Dom ist auch die einzige Figur in diesem Roman, die mir fast etwas zu überirdisch erscheint, denn der Mann ist einfach zu gut um wahr zu sein. Er tut alles für Danny und später auch für Lou und Wolfie, verliert nie die Geduld und hat für alles eine Lösung. Deswegen oder trotzdem ist er auch ein besonders sympathischer Mensch.
Erst ganz langsam, mit großer Vorsicht und winzigen Schritten, kommen Lou und Danny wieder einander näher. Und ebenso langsam findet Danny heraus aus seinem Schneckenhaus und verliert nach und nach seine diversen merkwürdigen und schlechten Gewohnheiten. Dazu tragen auch Briefe bei, die er nach der Veröffentlichung des Artikels erhält und die er in der Art eines Briefkastenonkels voller Liebe und Verständnis beantwortet.
Präzise Pinselstriche
Wie schon in ihrem Roman „Norman Formans Weg zum Ruhm“ schafft Julietta Henderson auch diesmal mit präzisen, gleichzeitig entlarvenden wie auch empathischen Pinselstrichen ganz wunderbare Figuren. Wie es ihr gelingt, diese Charaktere nach und nach zu entblättern, ihnen eine große Tiefe zu geben und dabei nie das Verständnis für sie zu verlieren, wie sie es erreicht, dass man als Leserin stets ganz nah an diesen Figuren ist, fühlt, was sie fühlen, das ist große Kunst. Dabei schreibt sie mit viel sanftem Humor, sie lässt den Figuren ihr Eigenleben. Sie gibt jeder einzelnen Person ihrer Geschichte ein gerüttelt Maß an Macken, Eigenheiten und Marotten, lässt sie damit aber nie allein.
Dieser Roman ist so ganz anders als ihr Debüt, es gibt weniger Dramatik, weniger Aktion und Aktivität, dafür mehr Reflexion und mehr Analyse. Daher spielt er weniger mit den Gefühlen der Leserin, ist aber keinesfalls weniger gefühlvoll.
Ein Roman über Liebe, Reue und Vergebung, über Treue und Freundschaft.
Julietta Henderson: Die besten Fehler meines Lebens.
Aus dem Englischen übersetzt von Juliane Zaubitzer.
Droemer, Februar 2023.
271 Seiten, E-Book, 17,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.