Joshua Cohen: Die Netanjahus

Der 1980 geborene US-amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen hat 2022 für den Roman „The Netanyahus“ den Pulitzer Preis bekommen. Nun ist am 26. Januar 2023 die deutsche Ausgabe unter dem Titel „Die Netanjahus“ bei Schöffling & Co erschienen. Ingo Herzke hat den Roman aus dem Englischen übersetzt.

„Die Netanjahus oder vielmehr der Bericht über ein nebensächliches und letztlich sogar unbedeutendes Ereignis in der Geschichte einer sehr berühmten Familie“ (so der komplette Titel mit Untertitel) ist ein Campusroman, der an der fiktiven Corbin University in Corbindale, New York spielt. Der emeritierte Professor für Amerikanische Wirtschaftsgeschichte, Ruben Blum, erinnert sich an den Winter 1959/1960, in dem er von seinem Dekan Dr. Morse gebeten wird, eine Kommission zu leiten, die über die Bewerbung eines israelischen Kollegen namens Ben-Zion Netanjahu entscheiden soll. Ruben Blum ist erst seit Kurzem an der Corbin University und der einzige Jude dort. Er kann diese Aufgabe nicht ablehnen. Joshua Cohen erzählt über das Leben von Jüdinnen und Juden in der Diaspora am Beispiel der Familie Blum in den USA der 1950er und 1960er Jahre, ihrem Wunsch nach Assimilation und Akzeptanz, ihrem Wunsch „Amerikaner“ zu sein. Dafür nehmen sie Rassismus, Diskriminierung und Missachtung in Kauf. Ruben Blum wird Professor an einer amerikanischen Universität. Seine Kollegen begegnen ihm mit „Herablassung“. Seine Frau Edith arbeitet im Magazin der Uni-Bibliothek, seine Tochter Judith geht noch zur Highschool und will sich unbedingt ihre „Tante Zelda Nase“ operieren lassen. Mit dem Besuch von Ben-Zion Netanjahu, der seine Frau Zila und die drei Söhne Jonathan, Benjamin und Iddo mitbringt, gerät das Blumsche Leben aus den Fugen.

Joshua Cohen hat sein Buch dem Literaturkritiker Harold Bloom gewidmet. Aus dessen Leben stammt die Geschichte über den tatsächlichen Besuch der Netanjahus. Cohen hat sie nach Blooms Tod 2019 (wie er im letzten Kapitel „Abspann & Gastauftritte“ des Buches angibt) mit viel Humor und Phantasie fiktionalisiert.

Der zionistische Aktivist und Historiker Ben-Zion Netanjahu ist der Vater des aktuell amtierenden Ministerpräsidenten Israels Benjamin (Bibi) Netanjahu. So erklärt sich auch der Untertitel des Buches (s.o.).

„Die Netanjahus“ sind in erster Linie eine Geschichte über die Familie Blum. Die Hauptfigur Ruben Blum, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, ist ein redlicher, eher konfliktscheuer und angepasster Akademiker, der seinen Status als Mittelschichts-Amerikaner seiner jüdischen Herkunft vorzieht. Als Jude in der Diaspora ist er von Beginn an Kränkungen und Demütigungen ausgesetzt, die er durch Strebsamkeit und gesellschaftlichen Aufstieg hinter sich lassen möchte. Nur gelingen tut es ihm nicht. Selbst an der Universität setzt sich die Diskriminierung fort. So wird er zum „guten alten Heiligen Nikolaus“ gemacht, weil er einen richtigen Vollbart hat oder eben in die Bewerbungskommission gesteckt. Tochter Judith möchte gar ihre höckerige Nase loswerden, um weniger „jüdisch“ auszusehen. Bloss nicht auffallen ist die Devise für Ruben Blum, die aber gehörig ins Wanken gerät als er zum unfreiwilligen Gastgeber der chaotisch-lauten, dreisten und (für die Blums unverständlich) hebräisch sprechenden Familie Netanjahu wird. Dies geschieht zwar erst im zweiten Teil des Buches, dafür aber mit ordentlicher Wucht. Cohen beschreibt das Aufeinandertreffen der beiden Familien hart an der Grenze zum Slapstick (was sagt eigentlich Benjamin Bibi Netanjahu zu diesem Buch?).

Ruben Blum bangt als Jude wie die Netanjahus so um seine fragile Anerkennung in der US-amerikanischen Gesellschaft, dass er der Gast-Familie vor dem Sheriff des Ortes gar eine völlig andere Staats- und Religionszugehörigkeit verpasst:

»Vielen Dank, Sheriff, und ich bin ganz Ihrer Meinung über diese Leute. Die Eltern dieser Jungs. Das sind Türken, wissen Sie«, und ich ging den Weg zu meiner Haustür hinauf.“ (S. 275)

Joshua Cohens „Die Netanjahus“ ist ein bitterer Spaß, bei dem mir als Lesende das Lachen in der Kehle stecken bleibt. Interessant!

Joshua Cohen: Die Netanjahus.
Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke.
Schöffling & Co, Januar 2023.
288 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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