Es gibt unterschiedliche Thesen, wie eine Gesellschaft, insbesondere die Männergesellschaft funktioniert. Für Jack London (1876 – 1916) ist der wahre Treibstoff einer Gesellschaft der Alkohol.
Zum ersten Mal lernte Jack London die Wirkung des Alkohols im Alter von fünf Jahren kennen, als er seinem Vater an einem Sommertag einen Eimer Bier bringen sollte. Hitze und Durst hatten ihn dazu verleitet, buchstäblich über den Durst zu trinken. Seine zweite Alkoholvergiftung hatte er mit neun Jahren nach einer Tanzveranstaltung, auf der jeder Junge seine Männlichkeit unter Beweis stellen sollte. Über viele Jahre konnte er dem Geschmack von Alkohol nichts abgewinnen, jedoch sah er im gesellschaftlichen Trinken auch Vorteile. Vierzehnjährig verdiente er in der Konservenfabrik 10 Cent in der Stunde und arbeitete 10 Stunden am Tag, 30 Tage im Monat. Ein gut beheizter Saloon war für ihn und viele andere der ideale Treffpunkt für Geselligkeit und Informationsaustausch.
„… Ich trank, weil die Männer, mit denen ich zusammen war, tranken und weil ich mir dem Wesen nach nicht erlauben konnte, weniger männlich zu sein als die anderen Männer, wenn sie ihrem liebsten Zeitvertreib nachgingen.“ (S. 118)
Wer dazugehören wollte, nahm Einladungen an und sprach ebenfalls Einladungen zu einem Drink aus. Und wer in einer größeren Gruppe stand, in der reihum eine Runde ausgegeben wurde, fand irgendwann mehr oder weniger schnell seine Grenzen. Im Laufe der Jahre trank Jack London reichlich. Sehr deutlich beschreibt er seine persönliche Karriere als Alkoholiker, in der nicht nur humorvolle Anekdoten seine Krankheitsgeschichte aufzeigen.
„… Ich lernte, was es bedeutet, keinen Appetit mehr zu haben. Ich erfuhr, was es bedeutet, morgens zitternd aufzustehen, mit schauderndem Magen und lahmen Fingern. Ich lernte die Not des Säufers kennen, der einen steifen Whisky braucht, um wieder auf die Beine zu kommen.“ (S. 95)
Im Alter von etwa 37 Jahren zeigte ihm sein Körper Grenzen, die ihm auch psychisch zusetzten. Themen wie „Depression“ und „Weiße Logik“, die seinen Denkprozess beeinflussten, runden Jack Londons ehrlich wirkenden Bericht ab. Kurz vor seinem Tod stimmte der eingefleischte Macho für das Frauenwahlrecht. Den Frauen traute er mehr Erfolg im Kampf gegen den Alkohol zu als den Männern oder der Prohibition.
Jack London hatte sich mit seinem öffentlichen Bekenntnis keine Freunde gemacht. Alkoholismus galt damals noch nicht als Krankheit, und über den Durst zu trinken, war so normal wie Atmen oder Arbeiten.
Ein bekennender Süchtiger war nicht gesellschaftsfähig. Und heute kann man in jeder Gesellschaftsschicht die unterschiedlichsten Formen von Abhängigkeiten wahrnehmen. Jack Londons romanhafter Bericht ist unter dem Gesichtspunkt „Suchtverhalten“ noch immer aktuell. Darüber hinaus erlaubt die Lektüre viele Rückschlüsse auf das private Leben des Schriftstellers. Wer dem Lockruf des Goldes folgte und sich dem Menschen Jack London annähern möchte, wird mit Hintergrundinformationen und geschichtlichem Zeitkolorit belohnt.
Jack London: König Alkohol (1913).
dtv, Juli 2014.
288 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.