Ein Titel, der in die Irre führen kann: Es handelt sich in diesem Erzählband keinesfalls um Männer in ihrer Midlifecrisis. Sondern um Männer, die in sonderbare Situationen geraten, welche ihnen die Dualität der Welt vor Augen führen. Es sind nur drei Erzählungen, aber die haben mehr Tiefgang, mehr Finesse und mehr Verve als die meisten Longseller. Qualität statt Quantität. Der vielfach ausgezeichnete Autor Hartmut Lange schafft es, die großen Themen mühelos zu verdichten. Grandios, wie er das Absurde mit allergrößter Selbstverständlichkeit über seine Protagonisten hereinbrechen lässt.
Die Dualität des menschlichen Daseins
Dualität, dieses Thema kennzeichnet alle drei Erzählungen des Bandes. Schönheit und Gewalt, Liebe und Langeweile, Traum und Realität, Leben und Tod – die Gleichzeitigkeit all dessen führt uns das Geschriebene auf unterschiedlichste Weise vor Augen. In der titelgebenden Geschichte gleitet ein etwa vierzigjähriger Mann durch die Geschichtsepochen Europas. Eben noch an der Elbe, fährt er plötzlich in einer Kutsche über die Via Appia. Ob Rom, Florenz, Weimar, Frankreich zur Zeit der Revolution: Allen Epochen gemeinsam ist, dass Schönheit und Schrecken eng miteinander verbunden sind. Da gibt es die grandiosen Monumente Roms zu bestaunen und Gedanken mit Seneca auszutauschen, gleichzeitig treiben Leichen im Tiber, Mensch und Tier zerfetzen sich im Kolosseum. Während er Zeuge von Botticellis Genie wird, erlebt der Mann Attentate und Metzeleien. „Die Kunst hat noch niemand getötet, aber das scheint nur wenige zu interessieren. Heute besucht man ein Konzert, und morgen zieht man in den Krieg. Es kommt mir vor, als wäre man immer nur damit beschäftigt, sich Feinde zu schaffen, die man dann beseitigen kann.“ (S. 35). Die menschliche Natur und deren Unbegreiflichkeit zwischen Gut und Böse wurde selten so eindrucksvoll auf den Punkt gebracht – bis zum Ende.
Philosophisch, originell, spritzig
Ein bitteres Ende nimmt „Auf der Durchreise“, in der sich zwei Männer über den Sinn des Lebens angesichts der Unausweichlichkeit des Todes unterhalten. Absolut amüsant liest sich hingegen „Die Unberührbare“. Ein Duell zur „Ehre einer Frau“ nimmt einen unerfreulichen Ausgang. Der Sekundant von Sedlitz, welcher der ahnungslosen reichen Witwe die Nachricht überbringen soll, erlebt sein blaues Wunder. Denn die einzig wirklich große Frauenrolle in diesen Erzählungen, hält alle Zügel fest in der Hand und lässt von Sedlitz ganz nach ihrem Willen tanzen! Geschrieben ist diese Erzählung samt seinen absurd-komischen Dialogen wie ein Drehbuch. Kein Wunder, schließlich hat der 1937 in Berlin- Spandau geborene Autor an der Filmhochschule Babelsberg Dramaturgie studiert. Ob Kultur, Liebe, Philosophie oder Glauben – während der durchschnittliche etwa vierzigjährige Mann langsam auf Sinnsuche zur Lebensmitte driftet, stolpern auch diese taumelnden Protagonisten über die großen Fragen der Welt. Und diese sind absolut zeitlos.
Hartmut Lange: Der etwa vierzigjährige Mann.
Diogenes, März 2025.
128 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.