Bei einem Film würde man vorab lesen: dieser Film beruht auf wahren Begebenheiten. Hier ist es ein Theaterstück, das diesem bewegenden Roman zu Grunde liegt. Bei Recherchen für sein Buch „28 Tage“, ist David Safier auf dieses Theaterstück gestoßen, das im Januar 1942 im Warschauer Ghetto aufgeführt worden ist. Danach nicht mehr. Das Manuskript war in die Versenkung geraten. Safier hat dieses Manuskript leicht bearbeitet und das Theaterstück zur Handlung seines Romans gemacht.
Im Mittelpunkt steht das Ensemble des Femina-Theaters, das damals eines von insgesamt fünf Theatern im Warschauer Ghetto gewesen ist. Im Stück geht es um zwei junge Paare, die vom Wohnungsamt dasselbe Zimmer zugewiesen bekommen haben und nun sehen müssen, wie sie damit klarkommen. Wohnungsnot – etwas anderes zu finden, war ausgeschlossen. Damals lebten rund 460.000 Menschen auf etwa drei Quadratkilometern zusammengepfercht, umgeben von einer hohen Mauer mit Stacheldraht. Krankheiten wie Typhus waren an der Tagesordnung, der Tod gehörte zum Leben, nicht nur durch die Nazis, die wahllos Menschen erschossen, die sich ihnen in den Weg stellten. Hunger und Leid gehörten ebenso zum Alltag wie die Angst vor der nächsten grundlosen Kontrolle durch die Nazis. Die Schauspieler versuchten, den Menschen ein bisschen Freude im Alltag zu bereiten, sie zum Lachen zu bringen und sie für ein paar Stunden, die Angst vergessen zu lassen.
Die Textzeile „und wer weiß schon, und wer weiß schon …. , ob noch jemals kommt ein Mai“ ist so etwas wie eine zentrale Aussage im Theaterstück wie auch im Roman. Wer weiß, wann die Züge, von denen Zivia alpträumt, wirklich kommen? In der Realität dauerte es nicht lange nach der Aufführung, bis die Ghetto-Bewohner deportiert wurden.
Sara, eine junge Schauspielerin, lebt für das Theater und für die Arbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam auf der Bühne mit Michal, ihrem Ex, mit Zivia und Esther, Jozek und anderen, allen voran mit Edmund, ihrer großen Liebe, gelingt es auch ihr, dem Alltag kurz zu entfliehen. Eines Nachmittags, kurz vor der Vorstellung, macht Michal ihr einen verlockenden Vorschlag. Er will mit ihr aus dem Ghetto fliehen. Er hat Geld, und er hat Wachsoldaten bestochen. Sara muss sich entscheiden, ob sie mit ihm kommt und ein Leben in Freiheit führen möchte oder ob sie bei Edmund bleiben wird und damit dem sicheren Tod entgegenblicken wird. Eine Entscheidung, die Sara keineswegs leichtfällt und die sie mehrfach überdenkt. Sie hat nicht lange Zeit dazu. Direkt nach der Vorstellung will Michal weg. Saras Dilemma ist beeindruckend beschrieben und spiegelt sich – wie überhaupt die Situation der Truppe – im Theaterstück.
Erstaunlich leicht und fesselnd geschrieben, amüsant und unterhaltsam, trotz der schrecklichen Realität des Alltags im Ghetto, die immer wieder präsent ist. Voller Kalauer, Satire, launiger Dialoge und flotter Musik wird das Theaterstück zu einer Flucht aus der Not im Ghetto. Wenn auch nur für wenige Stunden. Ein sehr bewegender, nachhallender und berührender Roman, der uns die Lebensumstände im Warschauer – wahrscheinlich ebenso in anderen – Ghetto schildert, ohne überheblich zu sein.
Ein weiterer Beweis, dass David Safier nicht nur „lustig“ kann, sondern auch ernste Themen glaubhaft und eindrücklich nahebringen kann.
David Safier: Die Liebe sucht ein Zimmer
Rowohlt, Mai 2025
336 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.