Claire Lombardo: Genau so, wie es immer war

Die US-Amerikanerin Claire Lombardo (Jahrgang 1989) hat nach dem großen Erfolg ihres ersten Romans „Der größte Spaß, den wir je hatten“ aus dem Jahr 2019 nun ein neues Buch geschrieben. „Genau so, wie es immer war“ wurde mit Spannung erwartet und erscheint heute, am 15. August 2024, bei dtv. Es wurde wie schon der vorangegangene Roman von Sylvia Spatz aus dem Englischen übersetzt.

 

Große Erwartungen und kleine Enttäuschungen

Zur Erinnerung: Claire Lombardo schrieb in ihrem ersten Buch „Der größte Spaß, den wir je hatten“ über die Familie Sorenson aus Oak Park in Illinois. Ein Buch mit vielen Akteuren, das ich mit dem größten Vergnügen gelesen habe. Dementsprechend waren meine Erwartungen an „Genau so, wie es immer war“ hoch. Und wurden zunächst enttäuscht. Mit Julia Ames, der Protagonistin dieser Geschichte, wurde ich zu Beginn nicht recht warm.

Mit Ende fünfzig trifft Julia zufällig eine Frau im Supermarkt wieder, die zwanzig Jahre zuvor großen Einfluss auf Julia hatte. Helen Russo war damals Julias wohl beste, bestimmt aber einzige Freundin. Diese Begegnung erschüttert Julia, die kurz vor der Hochzeit ihres Sohnes Ben und dem Highschool Abschluss ihrer Tochter Alma steht. Julia ist seit vielen Jahren mit Mark verheiratet, einem lieben und verständnisvollen Mann. Doch scheint sie, diesem Glück nicht zu trauen, bzw. sie ist der Überzeugung, es nicht verdient zu haben. Nach und nach schält Claire Lombardo Schicht für Schicht ihrer Figur Julia ab und lässt eine verletzte und alleingelassene Kinderseele erscheinen, die das Leben ihrer Figur bis ins späte Erwachsenenalter geprägt hat. Und damit verliert sich auch meine Enttäuschung und wird von neugierigem Leseinteresse ersetzt. Denn Julia Ames ist nicht, wie ich zunächst dachte, eine von Selbstmitleid und Minderwertigkeitsgefühlen geplagte Ehefrau und Mutter, deren Kinder gerade endgültig das elterliche Nest verlassen, sondern eine Frau mit einer komplexen Herkunftsfamiliengeschichte, einer verklärten Liebe zu einem abwesenden Vater und einem komplett dysfunktionalen Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter Anita, dessen (Nach-)Wirkungen beinahe katastrophale Folgen für ihre Ehe und Familie haben. Und dabei spielt ihre Beziehung zu Helen Russo (und auch zu deren jüngstem Sohn Nathaniel) eine große Rolle.

 

Eine ganz normale Frau auf der Suche nach dem kleinen Glück

Am Ende ist es die Figur Julia Ames, die Claire Lombardos gesamten Roman trägt und zu einem Leseereignis macht. Das Risiko, das die Autorin mit der Ausrichtung auf die innerste Verfasstheit ihrer weiblichen Hauptfigur eingegangen ist, hat sich ausgezahlt. Denn schreiben kann Claire Lombardo. Sie wechselt in der Geschichte zwischen Rückblenden im Präteritum (Imperfekt) und der Gegenwart im Präsenz, ohne dass es das Lesen holprig macht. Ihre Dialoge fügen sich natürlich und stimmig in den Text, wie z.B. in dem Telefonat zwischen Julia und ihrer Mutter Anita, das Atmosphäre und Stimmung der Beziehung zwischen den beiden genau widerspiegelt:

„»Wie geht es dir?«, fragt sie.
»Gut«, sagt Anita. »Und dir?«
»Prima.«
»Du klingst irgendwie anders. Bist du erkältet?«
»Nein.«
»Ist irgendwas Besonderes los?«
»Nein«, sagt sie, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entspricht. »Eigentlich rufe ich an, weil … Ben heiratet.«
Es entsteht eine seltsame kurze Funkstille, und ihr kommt der Gedanke, dass ihre Mutter vielleicht gar nicht mehr weiß, wer Ben ist.
»Na, ist doch schön für ihn«, bemerkt Anita.“ (S. 285)

Claire Lombardos zweiter Roman „Genau so, wie es immer war“ ist eine gelungene Hommage an eine ganz normale Frau und ihre unerschütterliche Suche nach dem kleinen Glück. Zwar finde ich „Der größte Spaß, den wir je hatten“ noch immer etwas besser, aber „Genau so, wie es immer war“ kommt dem schon sehr nahe. Bitte lesen!

Claire Lombardo: Genau so, wie es immer war.
Aus dem Englischen übersetzt von Sylvia Spatz.
dtv, August 2024.
720 Seiten, gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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