Warum sollte man heute etwas über eine Frau aus dem vergangenen Jahrhundert lesen, die den meisten jungen Menschen unbekannt sein dürfte? Wer seinen Fokus häufig auf die digitale Welt richtet, kennt sicherlich die Stars bei TikTok, Influencer und Blogger mit enormer Reichweite.
Die Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer schreibt in ihrem Epilog, es habe lange gedauert, bis sie die Biografie von Hildegard Knef mit dem Titel Der geschenkte Gaul in die Hand nahm. Sie wusste über die Künstlerin, dass sie Schauspielerin, Sängerin und Autorin war.
Hildegard Knef war die Erste, die im Nachkriegsdeutschland für wenige Sekunden in einem Film ihren nackten Körper zeigte. In dieser Szene spielte ihr Filmpartner einen Maler und sie das junge Aktmodell. Vertreter der Kirche und ein großer Teil der deutschen Gesellschaft waren in Aufruhr und wollten diesen „skandalösen“ Film verbieten lassen.
Eine weitere prägnante Erinnerung der Autorin war das Lied „Für mich soll es rote Rosen regnen“, das vor wenigen Jahren als Duett mit der Band Extrabreit den Sprung in die Charts schaffte.
Und dann, bei der Lektüre der extrem erfolgreichen Biografie, bemerkte die Autorin, dass Hildegard Knef noch sehr viel mehr zu bieten hatte. So entstand der Plan, Informationen über den einstigen Weltstar, eine der schillerndsten Frauen der Nachkriegszeit, zusammenzufassen.
Bei dem kurzweilig zu lesenden Buch von Anne-Kathrin Kilg-Meyer fällt besonders auf, dass sie die Facetten einer ungewöhnlichen Frau mit den Worten „die vielen Leben“ umschreibt. Wie konnte die Halbwaise Hilde, häufig schwer krank, hungrig im Krieg und in der Nachkriegszeit, mit dem Schulabschluss der mittleren Reife, 1954 ein gefeierter Star auf dem Broadway werden? In jener Zeit zählten in Amerika die Deutschen noch immer zu den Kriegstreibern.
Manche könnten behaupten, Hildegard Knef hätte diesen Erfolg gehabt, weil Marlene Dietrich ihre Mentorin war. Doch wer sich diese zwei Jahre auf der Bühne vor Augen führt, als Hilde acht Vorstellungen pro Woche jeweils für 3,5 Stunden spielte, sang und tanzte, kann diesen Erfolg nicht allein mit einer Fürsprache erklären. Dies geht nur durch einen hohen persönlichen Einsatz an Fleiß und Talent.
Zurück zur einleitenden Frage, warum man heute mehr über die vielen Leben der Hildegard Knef (1925–2002) erfahren muss. Die Antwort liegt auf der Hand. Die Künstlerin entsprach nie einem traditionellen Frauenbild. „Sie war ihrer Zeit … mindestens zwei Schritte voraus … hinsichtlich weiblicher Selbstverwirklichung, Gleichberechtigung und Emanzipation.“ (S. 145)
„Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, waren schon immer dem gnadenlosen Urteil Außenstehender ausgesetzt. Besonders schonungslos gingen die Medien mit Hilde um.“ (S. 144) Sie wurde von der Kirche und den deutschen Medien aus zwei Gründen so brachial angegriffen: Hildegard Knef war talentiert und eine vorbildlich freie Frau, die ihre Talente und Stärke nicht für andere verleugnete.
Anne-Kathrin Kilg-Meyer: Die vielen Leben der Hildegard Knef
Verlag Eriks Buchregal, November 2024
152 Seiten, Hardcover, 19,90 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.