Anna Burns: Größtenteils heldenhaft

Wahnsinnig witzig – eine leicht dysfunktionale Beziehung zwischen Held und Femme Fatale

Während die Leserschaft in Deutschland die Man Booker-Prize-Trägerin Anna Burns hauptsächlich durch ihre Romane vor dem Hintergrund des Nordirlandkonflikts kennt, zeigt dieses Buch eine ganz neue Seite der Autorin. Mit genialen Wordings und grotesken Einfällen dekonstruiert sie genussvoll das Heldenuniversum! So ist dieses nur 126 schlanke Büchlein weit mehr als ein Comicwerk ohne Bilder. Es ist ein rasanter Pageturner der guten Laune.

Superheld hat es nicht leicht. Nicht nur, dass er ständig das Universum von Bösewichten retten muss. Viel schlimmer – die Liebe mit all ihren Unabwägbarkeiten ist in sein Leben gepoltert in Form von Femme, Spross einer Superschurkenfamilie und ausgestattet mit zahlreichen Femme Fatale Genen. Zudem wurde Femme von seinen Feinden mit einem Fluch belegt. Sie hat aus heiterem Himmel das Bedürfnis ihn umzubringen, kann sich aber später an nichts mehr erinnern. Was es dem ohnehin unnahbaren Held zusätzlich erschwert, Femme sowohl emotional als auch körperlich an sich ranzulassen. Vor allem angesichts der 40 Mordanschläge wie „Schubser vor fahrende Autos, Beinchenstellen auf der obersten Treppenstufe, spontanen Vergiftungen, zufällig griffbereiten stumpfen Gegenständen, improvisierten spitzen Gegenständen und natürlich Niedermähen mit ihrem Auto“. (S. 7/8).

Amnestische Mordversuche & agile Leichen

Femme ahnt von alledem nichts. Weder von ihrer eigenen Herkunft, zum Beispiel, dass ihre zuckersüße, zurückgezogen in einem Wolkenkratzer lebende Großmutter in Wirklichkeit die größte Superschurkin von allen ist. Noch, dass sie Anschläge auf ihren Geliebten verübt. So findet sich Femme ständig in abstrusen Situationen wieder. Ein romantisches Date auf den Klippen endet in einem merkwürdigen Gerangel (leider nicht sexueller Natur) zwischen Utensilien wie Beilen und Seilen, an deren Kauf, Sinn und Zweck sie sich nicht erinnern kann. Stattdessen möchte sie Held dazu bringen „sich zu öffnen“ und legt ihm eine Psychotherapie aufgrund seiner Bindungsängste nahe.

Im Folgenden erleben wir die wohl spektakulärsten, langwierigsten und lustigsten Todesszenen in der Literaturgeschichte (Stichwort: agile Leichen), Reinkarnationen der besonderen Art, planlose Schurken-Gangs, gewiefte Omas und verführerische Superschurkinnen.

Dieser Roman erschien 2014 im englischsprachigen Raum und ist nun erstmals auf Deutsch erhältlich. So sehr er sich auch von Anna Burns Folgewerken unterscheiden mag, ihre Bücher haben einen gemeinsamen Nenner: Sie werden aus weiblicher Perspektive geschildert. In Milchmann erleben wir den Nordirlandkonflikt aus den Augen eines 18-Mädchens, das von einem mächtigen Paramilitär begehrt und gestalkt wird. In Amalia begleiten wir die Titelfigur beim Erwachsenwerden zwischen 1969 bis zum Waffenstillstand mit der IRA im Jahr 1994.

Frauen gieren nach der Weltherrschaft!

Auch in größtenteils heldenhaft treiben die Frauen die Handlung voran. Femmes Oma als geniale Superschurkin hält die Fäden im Hintergrund in der Hand. Die supersexy und supergerissene Monique Frostique giert ebenso nach der Weltherrschaft und verschlingt auf ihrem Weg diverse verblendet-verblödete Handlanger. Femme plagt sich zwar mit ganz alltäglichen Problemen wie ghostenden Männern herum, ist aber als Bindeglied zwischen Helden- und Schurkenfamilie entscheidendes Puzzleteil in dem Schlammassel. Gepaart mit einem nostalgischen Retro-Feeling plus subtilen Seitenhieben gegen schlagzeilengeilende Medien und eine sich gerne beherrschen lassende Gesellschaft, ist Anna Burns ein höchst amüsantes, abgründiges Buch über eine „leicht“ dysfunktionale Beziehung gelungen. In der Männer Zwangsstörungen und Frauen bipolare Gefühlsanwandlungen haben.

Fazit: Ein literarisches Vergnügen! Die Booker Prize Trägerin Anna Burns bespielt und bespaßt den Heldenmythos mit so viel Verve und Wortwitz, dass man dieses Buch einfach lieben muss. Selbst als Nicht-Comic-Leser. Wer weiß, vielleicht entdecken auch Sie diverse „Femme Fatale“-Gene in sich.

Anna Burns: Größtenteils heldenhaft.
Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll.
Tropen, Oktober 2024.
128 Seiten, gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..