Es ist tatsächlich erstaunlich, wie vielseitig diese Autorin ist. Amelie Fried ist Journalistin und Moderatorin und sehr erfolgreiche Schriftstellerin, sie schreibt Komödien, Familiengeschichten, Kinderbücher und Krimis, von denen etliche verfilmt wurden. Hier legt sie nun einen neuen, spannenden Kriminalroman vor.
Julia, freie Journalistin, schlägt sich mit kleinen Aufträgen durch, darunter immer wieder Artikel für das Magazin „Gesundheit-heute“. In dessen Auftrag recherchiert sie zu Vorwürfen von sexuellen Übergriffen innerhalb eines renommierten deutschen Forschungsinstituts. Sie hat dazu eigentlich keine Lust, da sie dieses Themas überdrüssig ist und ähnliche Vorbehalte hat wie viele Menschen, nach dem Motto, sollen sich die Frauen doch nicht so anstellen. Dabei hadert sie selbst immer wieder mit den reichlich sexistischen Sprüchen des Chefs von „Gesundheit-heute“.
Als sie ihre Recherchen beginnt, lässt sie gegenüber den betroffenen Frauen ihre Vorbehalte durchaus erkennen, so dass die Frauen ihrerseits wenig zu erzählen bereit sind und vor allem immer anonym bleiben wollen. Sie fürchten Repressalien bis hin zu Entlassung und Zerstörung ihrer wissenschaftlichen Karrieren. Besonders betroffen sind in dem Institut vor allem die chinesischen Stipendiatinnen, die dort als Doktorandinnen arbeiten. Durch ihre Kultur sind sie auf Unterordnung und schweigende Duldung trainiert.
Als Julie jedoch den Hauptbeschuldigten kennenlernt, einen smarten, ausgesprochen gutaussehenden und sehr selbstbewussten Wissenschaftler, ist ihr Jagdinstinkt geweckt. Doch dann macht sie einen großen Fehler.
Darüber hinaus werden Julias Recherchen in dem Institut durch ihre eigenen Familiengeschichte überschattet. In den Laboren hat früher Julias Bruder Robert gearbeitet, der vor 12 Jahren spurlos verschwand. Er brach in einem Norwegenurlaub zu einer Wanderung auf, von der er nie zurückkehrte. Doch auch seine Leiche wurde nie gefunden.
Dieser Vorfall belastet Julia und ihre Familie natürlich sehr. Er wirkt sich auch auf Julias Liebesleben aus, denn dieses Trauma überschattet im Grunde ihr ganzes Leben. Sie hält sich für unfähig, eine Beziehung zu führen, eigentlich driftet sie bislang reichlich ziellos durch ihr Leben. Als sie dann auch noch erfährt, dass ihre Mutter unter fortschreitender Demenz leidet, ist das Chaos komplett.
Es gibt also in Amelie Frieds Roman zwei Haupthandlungsstränge. Einmal die Anstrengungen, dem übergriffigen Wissenschaftler seine Taten nachzuweisen und ihn vor Gericht zu bringen, zum anderen die Geschichte um Julias Bruder. Die Handlungen sind stringent erzählt, dabei erfahren wir Roberts Geschichte im Rückblick aus seiner Sicht, bis hin zum Tag seines Verschwindens.
Das Buch ist ein solider, konservativ gestrickter Krimi mit einem gerüttelt Maß an Spannung, aber auch einigen Längen. Dennoch liest er sich flott und zügig und auch wenn es keinen Mord und Totschlag gibt, blättert die Leserin doch stets schnell weiter, um zu erfahren, wie es ausgeht. Ein Roman, der das Thema #MeToo in einem interessanten Krimi verpackt.
Amelie Fried: Die Spur des Schweigens.
Heyne, August 2020.
496 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.
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