Adi Denner: Kiss of the Nightingale

Cleodora lebt in einer Welt, in der Talente kostbare Edelsteine sind, die von Generation zu Generation weitergegeben und verfeinert werden. Aus der höheren Gesellschaft ausgestoßen sind diejenigen, die kein Talent haben – wie Cleodora, deren Vater verstarb, ohne ihr sein Schneider-Talent vererben zu können.

Verwaist und in Sorge um ihre schwerkranke Schwester, gibt sie ihr Bestes, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, doch niemand kauft je ein Kleid von einer Schneiderin ohne Talent … Als sie bei einem Diebstahl erwischt wird und von der mysteriösen Dahlia das Angebot bekommt, im Gegenzug für Ruhm und Reichtum – und ein Talent! – ihre Diebin zu werden, stimmt Cleo zu. Fortan wird sie über Nacht als Opernsängerin gefeiert und kann all den Luxus genießen, den sie sich immer gewünscht hat – doch ist der Preis dafür zu hoch? Dahlia scheut keine Skrupel, um zu bekommen, was sie will und Cleo ist erschreckt darüber, wie schnell das Netz aus Lügen und Angst sie ihre eigene Moral vergessen lässt.

Der Schreibstil der Autorin ist wirklich schön und auch die Übersetzung ist sehr gut geworden. Das Buch, das für Leser ab 14 Jahren angepriesen wird, ist sprachlich anspruchsvoll, ohne dabei zu komplex zu werden; hier kann der Roman punkten.

Die Geschichte hingegen ist leider etwas langweilig. Sicher, die Handlung ist solide, die Idee wirklich interessant, aber die Figuren und ihre Beziehungen zueinander sind viel zu schwach und beim Lesen kaum zu spüren. Die Liebesgeschichte ist so blass und unbedeutend, dass sie es nicht einmal in meine inhaltliche Zusammenfassung geschafft hat – die starken Gefühle, die Cleodora für ihr Opfer entwickelt, sind für den Leser nicht nachvollziehbar.

Es ist kein schlechtes Buch; auch der Versuch, mit dem Fokus auf die Oper eine sterbende Kunstform wiederzubeleben, ist eine schöne Idee. Die Atmosphäre stimmt, die Sprache ist schön – nur diese schwachen Figuren! Schade, dieses Buch hätte mehr sein können. Jüngere Leser mögen die Komplexität der Charaktere anders bewerten und vom Lesen abraten will ich keineswegs; die Szenerie lässt einen beim Lesen in eine prachtvolle Welt träumen und wer etwas Atmosphärisches für zwischendurch sucht, ohne berührende Charakterentwicklungen zu erwarten, kann mit „Kiss of the Nightingale“ nicht falschliegen.

Ein Hinweis an den Verlag: Man mag vom Gendern halten, was man will; wofür es jedoch definitiv nicht gedacht ist, ist jungen Mädchen zu vermitteln, dass sie keine Chance auf männlich dominierte Berufe haben. Mir ist bewusst, dass der Satz „Die Darsteller und Darstellerinnen verlassen die Bühne, während die Bühnenarbeiter herbeieilen“ (S. 295) durch eine zusätzliche movierte Form der Bühnenarbeiter ein wenig ungelenkt wirken würde, aber gerade, wenn man direkt zuvor die Entscheidung getroffen hat, „Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer“ (S. 294-295) zu sagen, fällt der als einziges nicht gegenderte Bühnenarbeiter auf. Ich habe das Original nicht vorliegen und natürlich ist es möglich, dass die Darsteller und Darstellerinnen Actors und Actresses waren; nicht so jedoch die Sänger und Tänzer, von denen es meines Wissens nach im Englischen keine weibliche Form gibt. Wenn man sich für ein Gendern durch Doppelnennung entscheidet, hat man das meiner Meinung nach auch für Berufsgruppen durchzuziehen, in denen sich weniger wahrscheinlich eine Frau befindet. Oder man lässt es eben ganz und überlässt es der Imagination, wer da alles auf der Bühne steht – eine derartige Vorauswahl zu treffen und nur einige Gruppen zu gendern, arbeitet meiner Meinung nach jedoch gegen das eigentliche Ziel des Konzeptes an.

Das nur nebenbei, den meisten Lesern wird es wohl nicht auffallen.

Adi Denner: Kiss of the Nightingale
Fischer Sauerländer, Februar 2025
Gebundene Ausgabe, 496 Seiten, 19,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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