Mary Adkins: Das Privileg

Das Schicksal von drei jungen Frauen steht im Mittelpunkt des Romans von Mary Adkins, deren Debüt „Wenn du das hier liest“ ich mit großem Vergnügen im vergangenen Jahr lesen durfte. Im Gegensatz zu jenem Buch ist das vorliegende sehr viel ernster.

„Das Privileg“ schildert die Ereignisse am Carter College, wo Bea und Annie ihr Studium beginnen und Stayja in der Cafeteria arbeitet. Alle drei sind gewissermaßen am Scheideweg, müssen Entscheidungen hinsichtlich ihres Lebensweges treffen, müssen sich selbst kennenlernen und müssen vor allem lernen, sich zu behaupten.

Annie, durch einen Brand nicht nur an den Beinen vernarbt, erwirbt dank ihres Fagottspiels ein Stipendium. Sie ist schüchtern und ihr fehlt es an Selbstbewusstsein. Als sich Tyler, der Sohn reicher Eltern, für sie zu interessieren scheint, fühlt sie sich geschmeichelt. Doch ein Zusammensein in seinem Zimmer eskaliert und am Ende bezichtigt sie ihn der Vergewaltigung.

Bea, Tochter einer schwarzen Ärztin und eines ihr unbekannten weißen Vaters, studiert Jura und schwärmt für einen der Dozenten. Dieser verhilft ihr zu einer Aufgabe als studentische Beraterin für in Schwierigkeiten geratene Kommilitonen. So kommt Bea mit Tyler in Berührung, den sie bei der college-internen Untersuchung des Vergewaltigungsvorwurfs beraten soll. Sie steht ihm zwar loyal zu Seite, doch innerlich nagen Zweifel an ihr, ob sie auf der richtigen Seite steht.

Stayja kämpft viele Kämpfe. Sie muss sich um ihre kranke Mutter kümmern, ein Auge auf ihre flatterhafte Cousine haben und die finanziellen Sorgen der ganzen Familie alleine tragen. Sie träumt von einer Ausbildung zur Krankenschwester, die ihr Job in der College-Cafeteria finanzieren helfen soll. Hier begegnet sie Tyler, der sie sehr beeindruckt. Sie vertraut ihm und glaubt seinen Beteuerungen, dass die Vergewaltigungsvorwürfe haltlos seien.

Lange laufen die drei Perspektiven, aus denen der Roman erzählt wird, parallel, doch schließlich kreuzen sich die Wege der jungen Frauen. Ihr Schicksal scheint miteinander verknüpft. Jede muss auf ihre Weise mit den Zweifeln, Selbstvorwürfen und der Wut fertigwerden. Jede muss ihren Traum auf den Prüfstand stellen. Und alle müssen im Zuge der Ereignisse erwachsen werden.

Das Grundthema ist die Me-Too-Debatte, die die Autorin hier geschickt einbaut. Die Art, wie das College mit den Vorwürfen, die Annie gegen Tyler vorbringt, umgeht, ist skandalös, aber typisch. Dabei spielt die Tatsache, dass seine Eltern zu den größten Geldgebern des Colleges gehören, sicher keine unbedeutende Rolle. Gut gelingt Mary Adkins die Schilderung der Entwicklung der drei Frauen, vor allem von Annie, die sich von einem verängstigten, scheuen Mädchen in eine sich wehrende Frau wandelt.

Doch trotz des berührenden und spannenden Themas zieht sich der Roman ziemlich in die Länge. Viele Dinge sind vorhersehbar, die Handlung treibt an etlichen Stellen nur zäh voran und die Figuren sind nur schwach konturiert. Wenn man bei drei Erzählperspektiven an Sprache und Stil nicht unmittelbar erkennen kann, welche der Protagonistinnen gerade im Fokus steht, ist das in meinen Augen ein Nachteil. Dabei sind teilweise die Nebenfiguren, wie beispielsweise Stayjas Cousine Nicole, spannender und interessanter.

Ein Roman, der sich wichtiger Themen annimmt – neben Me-Too greift die Autorin noch das Thema Rassismus auf -, der aber bei mir nicht die entsprechende Wirkung entfalten konnte.

Mary Adkins: Das Privileg.
Kindler, Januar 2021.
432 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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Ein Kommentar zu “Mary Adkins: Das Privileg

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