Wulf Dorn: Mein böses Herz

herzDie siebzehnjährige Doro zieht zum Beginn der Sommerferien zu ihrer Mutter in das Kaff Ulfingen, wo die beiden ein neues Leben beginnen möchten. Vierzehn Monate zuvor starb Doros kleiner Bruder Kai unter nicht geklärten Umständen. Doro fand ihren Bruder morgens leblos in seinem Kinderbett. Der Vater verließ die Familie, weil er die Depression seiner Frau und den psychischen Zusammenbruch seiner Tochter nicht ertragen konnte. Nach monatelangem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hat Doro das Schuljahr an ihrer alten Schule beendet, während ihre Mutter nach Ulfingen gezogen ist und das gemeinsame Haus eingerichtet hat.

Doros neuer Therapeut Frank Nord wohnt zu ihrem Ärger im Nachbarhaus. Einziger Lichtblick ist der gleichaltrige Sohn Nords, zu dem Doro sich schon bei ihrer ersten Begegnung hingezogen fühlt. Julian umgibt eine faszinierende Aura der Traurigkeit. Seine herzkranke Mutter liegt im Sterben, seit sie sich im Krankenhaus einen Virus zugezogen hat und von der Transplantationsliste gestrichen worden ist.

In ihrer zweiten Nacht im neuen Haus wird Doro durch einen Alptraum geweckt und entdeckt im Gartenschuppen einen bis auf die Knochen abgemagerten und zu Tode verängstigten Jungen. Nachdem Doro den Notarzt und den Rettungswagen gerufen hat, ist der Junge spurlos verschwunden. Doros Mutter muss den Einsatz bezahlen und macht sich große Sorgen um die psychische Stabilität ihrer Tochter.

Um ihrer Mutter das Geld zurückzahlen zu können, nimmt Doro einen Job im Freibad „Atlantis“ an. Auf einem Plakat, das den Auftritt einer Rockband ankündigt, entdeckt Doro den Jungen aus dem Schuppen wieder. Von David, dem Sohn des Freibadbesitzers, erfährt sie, dass der Junge Kevin heißt und am Tag ihrer Ankunft in Ulfingen in seinem VW-Bus verbrannt ist.

Realität und Wahn verschwimmen für Doro immer mehr. Als Synästhethetikerin nimmt sie menschliche Gefühlszustände als Farben wahr und reagiert besonders sensibel auf Stimmungsschwankungen ihrer Mitmenschen. Sie hört Geräusche im Haus, obwohl sie allein ist, ein merkwürdiges Mädchen mit Spinnenaugen verfolgt sie und im Schwimmbad sieht sie ihren toten Bruder. Und niemand will ihr glauben, dass die Vorfälle nicht ihrer Phantasie entspringen.

So spannend, wie Wulf Dorns erster Jugendroman „Mein böses Herz“ beginnt, so clever und wendungsreich geht die Geschichte weiter. Der Autor eröffnet dem Leser einen tiefen Blick in die Psyche seiner pubertierenden Heldin Doro, die sich nicht erinnern kann oder will, was in der Nacht geschah, als ihr Bruder starb. Dorn gelingen eindrucksvolle Bilder ihrer Ängste und Schuldgefühle. Kenntnisreich und wie nebenbei klärt er den Leser auf, wie verdrängte Erinnerungen sich ins Bewusstsein kämpfen und welche Strategien der Verstand aufbietet, um diese Erinnerungen in die Wahrnehmung der Realität zu integrieren.

Dorn legt falsche Fähren und lockt seine Heldin bis zum überraschenden Finale durch einen Alptraum, in dem der Leser der Wahrnehmung Doros nie wirklich trauen kann. Etwas schade fand ich, dass Dorn bei der Auflösung des Traumas seiner Heldin nicht bis zur letzten Konsequenz gegangen ist. Aber vielleicht kann ein solches Ende einem jugendlichen Lesepublikum nicht zugemutet werden.

Fazit: Ein extrem spannender Jungendthriller, der sich tief in die Psyche seiner Heldin einfühlt und mit zahlreichen, überraschenden Wendungen aufwartet. Wer mit dem Lesen dieses Romans beginnt, sollte sich für den Rest des Tages nichts weiter vornehmen. Denn „Mein böses Herz“ legt man erst wieder aus der Hand, wenn es ausgelesen ist.

Wulf Dorn: Mein böses Herz.
cbt, Februar 2012.
416 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Martina Sprenger.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.