Sabine Rückert: Verbrechen: Echte Kriminalfälle aus Deutschland

Seit 2018 gestaltet Sabine Rückert zusammen mit ihrem Kollegen Andreas Sentker den erfolgreichen Podcast ZEIT Verbrechen, in dem sie spektakuläre Kriminalfälle aus Deutschland aufgreift. Auch im gleichnamigen Magazin Zeit Verbrechen, sind diese Kriminalfälle, die teilweise schon viele Jahre zurückliegen, wegen ihrer besonderen Dramatik aber noch immer in den Köpfen vieler Menschen  sind, nachzulesen. Nun gibt es das Buch hierzu.

Sabine Rückert sitzt durch ihre zwanzigjährige Tätigkeit als Gerichtsreporterin am Puls der Verbrechen. Sie wohnte Gerichtsverhandlungen bei und stellte eigene Nachforschungen zu Tätern und Opfern an. So hatte sie immer einen nahen Zugang zu den Taten, in die sie die Leser*innen in vielfältiger Weise eintauchen lässt. Ob Familiengewalt, Kindesmisshandlung, politische Tat, Verkehrsdelikt, Mord, jahrelange Pein oder sekundenschneller Tod – immer ist es ein Blick hinter die Kulissen der Verbrechen, bei denen Sabine Rückert sich mit der Psyche der Menschen in unserer Gesellschaft und mit unserem Justizsystem auseinandersetzt. Durch die Realität der Geschehnisse und ihre Mitwisserschaft um das Böse werden die Leser*innen  mit der gesamten Dramatik der zehn hier geschilderten entsetzlichen Taten konfrontiert. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Ralf Rothmann: Hotel der Schlaflosen

Die Figuren in Ralf Rothmanns neuem Erzählband sind stark problembehaftet. Neben Verflechtungen mit der Vergangenheit und inneren Unsicherheiten spielt vor allem die Angst eine zentrale Rolle in den elf Geschichten.

In der ersten Geschichte Wir im Schilf ist eine Geigerin die Hauptfigur. Kurz vor ihrem anstehenden Konzert trifft sie eine unerwartete, endgültige Entscheidung.

Die Buchtitel gebende zweite Geschichte, Hotel der Schlaflosen, ist nichts für zarte Gemüter. Erzählt wird von der Konversation des Gefangenen Isaak Babel, einem jüdischen Schriftsteller, der auf seine Erschießung wartet, mit seinem Peiniger und Vollstrecker Wassili Blochin. Der Text ist ein albtraumhaftes, ergreifendes Szenario mit allem erdenklich geschilderten menschlichen Leid der einen und eisigkalter Übermacht der anderen Figur: Die linke Hand, an der drei Fingernägel fehlten…. Spitz die Nase, bleich das stoppelige Gesicht mit den gelbgrünen Flecken über dem Jochbein und dem geronnenen Blut im Ohr… (eBook S. 28).

In der Erzählung Das Sternbild der Idioten lesen wir von der Tragödie eines Filmkomparsen, an der die anderen Komparsen ungewollt beteiligt sind. Dies ist abermals ein außergewöhnlich mitleiderregendes Schicksal eines Menschen inmitten einer aberwitzigen Handlung. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

John Burnside: What light there is. Über die Schönheit des Moments

John Burnside lehrt unter anderem als Professor an der University of St. Andrews in Schottland Kreatives Schreiben. Da ist es nicht verwunderlich, dass seine Texte schon mehrfach ausgezeichnet wurden. Er ist ein Meister des detaillierten Beschreibens. Vor allem seine autobiografischen Werke, in denen er seine Seele öffnet, sind durch eindringliche Tiefe geprägt.

In What light there is befasst er sich mit dem Zauber von Vergangenem. Er unterteilt seinen Text in die vier Kapitel „Erde“,  „Himmel (über das Verlieren)“, „Die Sterblichen“, „Die Göttlichen“. Wir lesen von Erinnerungen an die Kindheit, den Prägungen und daraus resultierenden späteren Sichtweisen. Das was war, lässt er wieder aufleben. Burnside bedient sich dabei der Texte verschiedener Literatur und Betrachtungen von Gemälden, die mit den eigenen inneren Bilderwelten entsprechende Empfindungen auslösen. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Lily Brett: Alt sind nur die anderen

In diesem kleinen, nur 84 Seiten starken Buch sind 24 Kolumnen von Lily Brett versammelt, die bis auf zwei Geschichten alle bereits im Magazin „Brigitte Wir“ abgedruckt waren.

Lily Brett ist eine dreiundsiebzigjährige australisch-amerikanische Schriftstellerin, die seit dreißig Jahren in New York lebt. Die pulsierende, nie zur Ruhe kommende Metropole scheint ihre Dynamik auch auf Lily Brett zu übertragen und deren  Sicht auf das Altern angenehm milde zu stimmen. Allen ihren Geschichten liegt eine Prise Humor und eine gesunde Portion Eigenironie zugrunde: So liest man von peinlichen Themen im Wartezimmer oder von einem Speeddating-Dinner, das die Autorin zufällig beobachtet und darüber gänzlich ihre Sorge um ihre Nierenarterienstenose vergisst. Die Augenoperation beschert ihr wieder besseres Sehvermögen, gleichzeitig erkennt sie beim Blick in den Spiegel aber auch plötzlich die vielen Falten, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Hélène Jousse: Die Hände des Louis Braille

Zumindest unbewusst ist wohl jedem schon einmal das perforierte Punktemuster der Brailleschrift aufgefallen, das man unter anderem auf Arzneimittelpackungen, Geldscheinen oder Krankenversicherungskarten findet. Dieses Alphabetsystem, in dem verschiedene Punktkombinationen Buchstaben bilden, ermöglicht es blinden Menschen zu lesen. Erfunden wurde diese Blindenschrift im Jahr 1825 von dem damals erst sechzehnjährigen Franzosen Louis Braille.

Die Autorin Hèlène Jousse lebt als Künstlerin in Paris. Sie hat an der Kunstakademie eine Ausbildung zur Bildhauerin gemacht. Nachdem sie von einem jungen blinden Mann darum gebeten wird, ihm das Handwerk der Bildhauerei beizubringen, taucht sie in eine völlig andere Welt ein. In ihrem Debütroman Die Hände des Louis Braille verwebt sie zwei Geschichten miteinander.

Ein Erzählstrang handelt von Constanze, einer erfolgreichen Dramaturgin, die sich nach dem Tod ihres erblindeten Mannes in einer Sinnkrise befindet. Von dem ihr wohlgesonnenen Produzenten Thomas erhält sie den Auftrag, ein Drehbuch über Louis Braille zu entwickeln. Durch das Schicksal ihres verstorbenen Mannes hat sie sich bereits intensiv mit dem Leben Louis Brailles  auseinandergesetzt. Im Romanablauf wechseln ihre persönlichen Aufzeichnungen, die mit „Rotes Heft von Constanze betitelt sind, mit ihrem Drehbuch über Louis Braille ab. Constanze erlernt sogar die Blindenschrift, um ihrem Protagonisten Louis noch näher zu kommen. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Julia Deck: Privateigentum

Ich fand es falsch den Kater zu töten ganz allgemein und auch in diesem speziellen Fall -, als du mir sagtest, was du mit dem Kadaver anstellen wolltest“ (eBook S. 5) Dieser starke Romanbeginn lässt bereits erahnen, dass im weiteren Text noch mehr Konfliktpotential zu erwarten ist.

Eine Neubausiedlung mit den Komponenten einer hypermodernen Energieversorgung samt Abfallverwertung, ist ein vielversprechendes ökologisch ausgerichtetes Wohnkonzept in einem Vorort von Paris. Hier haben sich Eva und Charles Caradec eines der Häuser gekauft. Endlich weg vom Großstadtlärm, Gestank und Dreck. Endlich etwas Eigenes mit freiem Blick in die Natur und endlich die Chance, dass sich Charles‘ manische Depression unter diesen Bedingungen bessert. Die Caradecs sind die ersten Bewohner im Neubauviertel und stolz auf ihr elegantes Privateigentum. Sie richten sich puristisch ein und genießen ihre neu gewonnene Wohnfreiheit. Doch mit dem Einzug ihrer Nachbarn löst sich der Traum vom Wohnidyll jeden Tag mehr auf. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Joachim B. Schmidt: Kalmann

Die Handlung spielt auf der Halbinsel Melrakkasletta im Nordosten Islands. Dort leben in dem kleinen Ort Raufarhöfn gerade einmal um die 170 Menschen. Einer davon ist Kalmann, ein etwas zurückgebliebener junger Mann Anfang dreißig. Wie einst sein Großvater ist auch Kalmann Jäger und Haifischfänger. Die Herstellung von Gammelhai und die Jagd auf Polarfüchse ist seine Lebenswelt in der er sich bewegt. Alles was er wissen muss, hat ihm der Großvater beigebracht, der nun im Pflegeheim wohnt. Mit einer jahrelang währenden Engelsgeduld machte dieser Großvater ganz selbstverständlich seinen Enkel Kalmann nach dem Motto learning by doing einigermaßen lebenstüchtig. Obwohl Kalmann schwer von Begriff ist, hat er auch ohne gut lesen oder richtig rechnen zu können gelernt, was Sache ist. Kein Grund zur Sorge, befand Großvater. Es gebe Wichtigeres im Leben als Zahlen und Buchstaben (eBook S. 39). Nur mit Stress kommt Kalmann nicht zurecht. Da kann es vorkommen, dass er seine körperlichen Kräfte nicht unter Kontrolle hat. Dennoch ist er ein gutmütiger Kerl und zudem der selbsternannte Sheriff des Dorfes. Wenn er sich aufmacht um Polarfüchse zu jagen oder mit dem Boot hinaus aufs Meer fährt um Haiköder auszulegen, heftet er seinen Sheriffstern an die Jacke, setzt seinen Cowboyhut auf und schnallt sich die vom Vater geerbte Waffe um. Alle Dorfbewohner akzeptieren Kalmann so wie er ist.

Als Kalmann auf dem Hügel hinterm Dorf, dem Arctic Hengge, auf eine große Blutlache stößt, ist es aus mit der Ruhe in Raufarhöfn, denn zur selben Zeit wird der Hotelbesitzer Róbert McKenzie vermisst. Nachdem ein abgetrennter Arm im Meer gefunden wird, ist man sich sicher, dass Róbert McKenzie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist und die Kriminalpolizei übernimmt die Ermittlungen. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Doris Dörrie: Die Welt auf dem Teller: Inspirationen aus der Küche

Doris Dörries vorangegangenes, ebenso bei uns besprochenes Buch Leben Schreiben Atmen ist ein Text über das Schreiben, das mit vielen Erinnerungen und Anregungen verknüpft ist. Ähnlich inspirierend liest sich ihr neues Buch Die Welt auf dem Teller, das ein Text über das Essen ist. Mit ihren Gedanken, Assoziationen und Erinnerungen gibt Dörrie auch hier wieder viele private Einblicke in ihr Leben. Nahrungsmittel stehen im Focus, was sie in vielfältiger Weise beleuchtet und außer auf ihren Genuss unter anderem auch auf ihre Wertigkeit ihre Verarbeitungsweise etc. eingeht.

Der Titel eines Kapitels, in dem Dörrie über Brot schreibt, lautet Knust und Scherzl. Darin erfährt man, dass die Autorin seit jeher eine Schwäche für das Endstück, genannt „Кnust“ hat. Diesen Knust zu ergattern, machte sie schon zu Kindertagen glücklich. Außerdem liest man, dass sie bei lang dauernden Veranstaltungen gern ein Stück trockenes Brot, vornehmlich den Knust in ihrer Handtasche mit sich führt.

Ein weiterer Text handelt davon, wie die Autorin einst bei einem Kubaaufenthalt einen Brief an Fidel Castro schrieb, den ihr der berühmte Anarchist Augustin Souchy diktierte und in dem es um die Reduzierung des Orangenpreises ging. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann (1926)

Lolly Willowes ist Sylvia Townsend Warners Debütroman, den man als Ermunterung zur Unabhängigkeit und Eigenständigkeit alleinstehender Frauen des 19. Jahrhunderts werten kann.

Als die Protagonistin Laura Willowes geboren wird, schreiben wir das Jahr 1874. Sie wächst mit zwei älteren Brüdern in der Grafschaft Somerset, im Südwesten Englands auf. Ihr Vater Everard ist vernarrt in das Mädchen. Später, als sie im heiratsfähigen Alter ist, lebt ihre Mutter nicht mehr und das Mädchen vergleicht alle Verehrer mit dem Vater. Keiner der jungen Männer kann diesem Vergleich standhalten.

Nach dem Tod des Vaters zieht Laura zu ihrem älteren Bruder Henry und dessen Frau Caroline nach London. Ihre Nichte Fancy verpasst ihr den Namen Lolly und so lässt sie ihren alten Vornamen Laura zusammen mit ihrem vorherigen Leben in der Grafschaft zurück. Alle wohlgemeinten Versuche von Henry und Caroline, Lolly zu verheiraten, scheitern. Lolly passt sich dem Familienleben im Haus des Bruders an. Sie liebt die Botanik, kauft gerne exotische Blumen, doch ihre Gedanken gehen ganz andere Wege. Der Geruch von Buchenzweigen, die sie geschenkt bekommt, inspirieren ihre Fantasie und von da an will sie unbedingt weg von London und in den unbedeutenden kleinen Ort Great Mop, in die Chiltern Hills  wegziehen. Damit möchte Lolly sich verwirklichen, sich den Einschränkungen in der Familie ihres Bruders nicht länger unterwerfen, vor allem aber will sie sich der männlichen Dominanz und Präsenz von Bruder und Neffe entledigen. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Raynor Winn: Der Salzpfad

Der South West Coast Trail, Englands längster Fernwanderweg, ist  1014 km lang und führt von Minehead in Somerset über Nord-Devon, Cornwall und Süd-Devon bis nach Poole in Dorset. Ursprünglich patrouillierten Küstenwachen zwischen den Leuchttürmen auf diesem Weg um Schmuggler ausfindig zu machen.

Raynor und Moth Winn beschließen diesen Pfad zu erwandern, nachdem ihnen ihre Farm, auf der sie ihre Kinder großgezogen, Tiere gehalten, Gemüse angebaut und über viele Jahre Feriengäste aufgenommen hatten, nach einem Rechtsstreit weggenommen wurde. Obwohl das Ehepaar die Fünfzig überschritten hat und Moth an der  schmerzhaften, degenerativen Nervenkrankheit CBD leidet, wollen die Winns, da sie sowieso kein Dach mehr über dem Kopf haben, dieses Abenteuer in den Sommermonaten wagen. Sie beschaffen sich ein günstiges Zelt und billige Schlaf- und Rucksäcke.

Der Weg, der mit 35000 Höhenmetern immer wieder von den Klippen aufs Meeresniveau hinab und wieder hinauf führt, bringt die beiden oft an ihre Grenzen und verlangt alles von ihnen ab. Doch es ist nicht nur der oft kernige Streckenverlauf, der den Trip erschwert. Hinzu kommt, dass es in Großbritannien für Obdachlose keine Suppenküchen gibt und wildes Campen generell verboten ist. Von Moths magerer Ausgleichszahlung mit 48 Pfund pro Woche können sie sich nur selten einen Campingplatz leisten. Wild zu campen wird so jeden Tag aufs Neue zu einem Abenteuer. Zudem haben sie immer wieder mit widrigen Wetterverhältnissen zu kämpfen und ihre günstige Ausrüstung ist nicht für Regen und Kälte geeignet. Ihre Ernährung beschränkt sich auf Tütensuppen, Nudeln, Reis, Dosenfisch und billige Süßigkeitsriegel. Weiterlesen

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten: