Moritz Brandl ist Deutschlehrer und hat seinen Leistungskurs an einem warmen Sommertagnachmittag für eine Vorbereitung einbestellt. Als alle sitzen, zieht er eine Pistole aus der Tasche und behauptet, sie hätten sein Leben ruiniert und seine Frau in den Suizid getrieben. Ein aufreibender Nachmittag beginnt.
Geschildert werden die Ereignisse in kurzen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven. Der Leser sieht in die Köpfe einiger Schüler, aber auch jemand von den Einsatzkräften kommt zu Wort.
Brandl erfüllt so ziemlich jedes Klischee eines Lehrers aus den 80ern. Ledertasche, Alkoholiker, bemüht und unverstanden. Ist das gut für das Buch oder schlecht? Ich bin nicht sicher und ich glaube, es spielt auch gar keine Rolle, denn um Brandl geht es in diesem Buch gar nicht. Er kommt auch gar nicht zu Wort. Es geht um die Schüler und um ihren Umgang mit der Situation.
Der Mensch hat zwei Möglichkeiten, auf Katastrophen zu reagieren. Egoistisch oder eben nicht. Will man nur sich selbst retten, oder ist die Sicherheit der anderen ebenso wichtig? Erkennt man diese Frage im Stress der Situation überhaupt? Das ist das eine Thema, dem der Roman nachgeht.
Das andere wichtige Thema ist im Titel enthalten. Wer hat Schuld an der Situation? Brandl behauptet, derjenige, der ihn bei der Schuldirektion als Alkoholiker angezeigt hat (was nebenbei gesagt wie immer sowieso die ganze Schule wusste, inklusive der Direktion). Aber hat das überhaupt jemand getan oder hat Brandl nur die falschen Schlüsse gezogen? Und hat einer der Schüler etwas zu seiner Frau gesagt, das sie in den Suizid getrieben hat oder hat er sich auch das in seinem Wahn nur eingebildet? Wird es ihm gelingen, Misstrauen unter seinen Schülern zu sähen und sie gegeneinander aufzuhetzen und will er das und wenn ja warum? Wenn er so sicher ist, wer ihn verraten hat, warum hat er dann den ganzen Leistungskurs einbestellt und nicht nur die in seinen Augen Schuldigen? Ist er vielleicht einfach völlig durchgeknallt und damit dann gefährlich unberechenbar?
Der Roman ist spannend und rasant geschrieben und wird durch die Perspektivenwechsel und die vielen offenen Fragen nie langweilig. Leider fehlt dem Perspektivwechsel auch ein Wechsel im Ton, sodass man die einzelnen Protagonisten nicht durch ihren ganz eigenen Stil unterscheiden kann, sondern wirklich auf die Kapitelüberschriften achten muss. Das ist insofern ein bisschen schade, weil es doch in dem Buch gerade darum geht, die Unterschiedlichkeit der Charaktere aufzuzeigen. Außerdem muss man höllisch aufpassen, nicht durcheinanderzukommen und die Motive der einzelnen Schüler auseinanderzuhalten und zuzuordnen.
Silke Heimes: Who’s to blame
Ueberreuter, September 2024
256 Seiten, gebundenes Buch, 18 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.