Ivy war zehn Jahre alt, als ihre Mutter Lila spurlos verschwand. Am Morgen war sie noch da und als Ivy aus der Schule kam, war sie nicht mehr auffindbar. Seitdem klammerten sich Ivy und ihr Vater an die Hoffnung, dass Lila eines Tages vielleicht doch noch wiederauftauchen könnte. Doch nach mehr als 13 Jahren möchte Ivys Vater nun endlich nach vorne schauen und mit seiner neuen Partnerin Joy eine Familie gründen. Aus diesen Gründen muss er Lila für tot erklären lassen. In Ivy sträubt sich alles.
Die junge Frau geht einem Hobby der besonderen Art nach. In ihrer Heimatstadt New York sammelt sie verlorene Gegenstände auf. Porzellanfigürchen, liegengelassene Tonträger, Kleidungsstücke. All diese Dinge hortet sie in ihrer Wohnung und schreibt genaustens auf, wann und wo sie sie gefunden hat. Denn sie ist überzeugt, alles, was verloren gegangen ist, findet seinen Platz wieder und hinterlässt eine Spur. Als ihr Vater Ivy die Nachricht seiner neu geplanten Heirat mit Joy eröffnet, nimmt sie endlich allen Mut zusammen und sucht nach Spuren ihrer Mutter. Polizei und Presse waren vor 13 Jahren allerdings sehr gründlich und Ivy sucht nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen.
Nicole C. Vosseler, die bisher überwiegend historische Romane veröffentlicht hat, gelingt es dabei hervorragend, Ivys innere Zerrissenheit in den Fokus zu nehmen. Seitdem die Mutter verschwunden ist, ist auch auf Ivy aus dem Lot geraten. Sie weiß nicht recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und hat deswegen ihre Obsession des Suchens und Findens mehr oder minder zu ihrem Beruf gemacht. An die Mutter denkt sie täglich, ja mehrmals täglich. Denn wie kann eine Mutter ihre 10-jährige Tochter so einfach im Stich lassen? Ivys Geschichte ist lesenswert und interessant, der Roman wird von einer ganz besonderen Stimmung getragen. Man spürt in jeder Zeile Ivys Not und ihre Einsamkeit. So sitzt sie beispielweise allein in ihrer kleinen Wohnung mit all den verloren gegangenen Dingen. Zu Besuch kommt nie jemand, keine Freunde, keine Verwandten. Halt findet sie aber bei ihrem Kumpel Moe und dem Straßenkünstler Jack. Auch ihr Vater ist für Ivy eine wichtige Bezugsperson, doch sein Wunsch nach einer Heirat mit Joy muss auch erstmal ins Bild passen.
Entstanden ist ein besonderer Roman mit einer Protagonistin, deren innere Not man in jeder Zeile finden kann. Das sorgt für eine ganz besondere Atmosphäre in „Die Hüterin der verlorenen Dinge.“
Nicole C. Vosseler: Die Hüterin der verlorenen Dinge.
HarperCollins, Oktober 2019.
512 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.