Minette Walters: In der Mitte der Nacht

Der zweite Band der Pest-Saga hat mir deutlich besser gefallen, als der erste. Vielleicht liegt es daran, dass der Krimi-Anteil hier höher ist. Im September 1348 klingt die Pestwelle in England langsam ab. Lady Anne of Develish ist es nach dem Tod ihres Mannes erfolgreich gelungen, die Krankheit aus ihrer Burg fernzuhalten, durch rigorose Abschottung und Hygiene. Jetzt gehen langsam die Vorräte aus und sie muss sich Gedanken machen, wie sie an neue kommt. Ihr Verwalter, gleichzeitig Vertrauter und alter Freund Thaddeus macht sich auf die Reise. Da er als Leibeigener nicht weit kommen würde, erfindet Lady Anne für ihn einen Titel und eine Abstammung. Diese Strategie erweist sich als noch gefährlicher als gedacht, denn der eifersüchtige Ex-Verwalter ihres Mannes hat nichts eiligeres zu tun, als Thaddeus zu verraten.

Es tauchen einige Klischees in diesem Roman auf, wie der gute Leibeigene und der böse Adelige. Die völlig eingeschüchterten Pächter sind meiner Meinung nach auch eher Klischee als Realität, ebenso wie die ungehemmte Brutalität an manchen Stellen, das ist eher Walther Scott als moderner historischer Roman. Minette Walters geht auch auf die Standesprobleme der Zeit ein, aber eine Kennerin ist sie meiner Meinung nach nicht. Gerade nach der Pest und gerade in England war die Schranke zwischen Adel und Volk dünn geworden, weil man, wie die Autorin durchaus richtig erkannt hat, Nachschub brauchte. Möglicherweise wäre es einfacher gewesen, für Thaddeus einen Aufstieg aufgrund hervorragender Leistung zu bekommen (immerhin war auf Develish niemand gestorben), als dieses komplizierte Konstrukt zu ersinnen. So hat es aber für den Leser mehr Spaß gemacht und war auch viel spannender. Denn nur so konnte alles in Gefahr geraten und musste aufgelöst werden. Da merkte man die erfahrene Krimischreiberin.

Ein durchaus spannender Roman, der im Mittelalter spielt, dem jedoch ein bisschen das typische Mittelalterflair fehlt, wobei ich nicht festmachen kann, woran das wirklich liegt. Die Geschichte ist nicht willkührlich, kann nicht in einer anderen Zeit spielen, sondern nur nach der Pestwelle und nur in England. Trotzdem war ich nicht überzeugt, mich dort und dann zu befinden. Vielleicht, weil die Protagonisten zu modern denken, das könnte ein Grund sein. Wer aber die Zeit und Spannung mag, kann durchaus zu diesem Roman greifen und wird nicht enttäuscht werden.

Minette Walters: In der Mitte der Nacht.
Heyne, Mai 2019.
544 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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