Lisa Graf: Lindt & Sprüngli: Zwei Familien, eine Leidenschaft

Leuchtendes Rot und Gold, eine edle Packung, die wohl grade geöffnet wird – schon das ansprechende Cover duftet irgendwie nach Schokolade, macht Lust auf Naschen! Und dann auch noch das Rezept in der Kladde! Tarte au chocolat! Erst backen oder erst lesen?

Akribisch recherchiert, historisch absolut wasserdicht, sowohl was wichtige Persönlichkeiten wie den Österreicher Johannes Baur angeht, der damals u.a. sein berühmtes Hotel „Baur au Lac“ hat bauen lassen. Von der Zürcher Gesellschaft belächelt, weil sie nicht glauben konnten, dass er „mit sowas, außerhalb der Stadt“ erfolgreich sein könnte, wie auch der Stadtgeschichte oder der politischen Gegebenheiten. Noch dazu äußerst fesselnd und flüssig geschrieben. Emotional berührend. Das ist kurz zusammengefasst der erste Teil der Geschichte um die berühmte Confiserie Lindt & Sprüngli in Zürich.

Angekündigt ist eine dreiteilige Saga, also können wir davon ausgehen, dass spätestens doch im zweiten Teil das Geheimnis um den Namen „Lindt“ in „Lindt & Sprüngli“ gelüftet werden wird. Am Ende von Band eins hat mich das nämlich ein bisschen enttäuscht zurückgelassen. Dessen ungeachtet bin ich aber ab Seite eins voll abgetaucht in die Geschichte um Rudolf Sprüngli, der mit seinen Visionen den angesehenen, ehrbaren, aber eher konservativen, bescheidenen Vater – Zeit seines Lebens als „Sparfuchs“ bekannt – nicht selten fast zur Weißglut getrieben hat. Häufig genug musste die Mutter zwischen den beiden schlichten und beschwichtigen. Auf die Unterstützung seiner Mutter konnte Rudolf meistens zählen, sie hatte den Weitblick zu verstehen, dass Rudolf die Zuckerbäckerei in der Züricher Marktgasse auf Dauer zu eng werden würde, dass er seinen Horizont erweitern möchte.

Seit er als kleiner Junge beim Apotheker Flückiger „sowas Ähnliches wie Schokolade“ testen konnte, träumt er davon, feinste, cremige Schokolade zu fabrizieren und damit über Zürich hinaus bekannt zu werden. Die Taler, die der Apotheker ihm damals als Medizin für die kranke Mutter mitgegeben hatte, waren sozusagen die Initialzündung für Sprünglis späteren Erfolg als Confiseur und Chocolatier. Unmittelbar nach seiner Lehre beim Vater macht Rudolf sich auf Wanderschaft. Er hat von Cailler und Suchard gehört, von ihnen will er mehr über Schokolade und ihre Herstellung lernen. Apotheker Flückiger unterstützt ihn mit einigen Briefen, die Rudolf auf dem Weg eine Unterkunft bei Kollegen in der französischen Schweiz sichern sollen und seine Wanderschaft ein bisschen leichter machen. Rudolf lernt schnell und begierig und findet z.B. in Cailler einen hervorragenden Lehrer, der ihm auch Unterstützung für die Zukunft zusagt. Das größte Problem ist nämlich, dass die Kakaobohnen, wenn sie eine gute Qualität haben sollen, aus Südamerika importiert werden müssen, was aufgrund der damals noch sehr komplizierten, wenig ausgebauten Transportwege und entsprechend hohen Kosten enorm teuer war. Für Rudolf eine große Hürde. Aber er ist fest entschlossen, seinen Traum zu verwirklichen. Der Weg ist nicht einfach, viele Widerstände müssen überwunden werden, ganz klein in einer Dachkammer, kann Rudolf nach Jahren als Chocolatier starten.

Mindestens so zielstrebig und eisern wie beruflich ist Rudolf auch privat. Mit zehn Jahren lernt er die vier Jahre ältere Katharina, Tochter des Turmwächters und Gelegenheitsmusikers kennen und weiß: Das ist die künftige Mutter seiner Kinder. Diese Frau wird er eines Tages heiraten! Auch dieses Ziel scheint weit weg und kaum erreichbar, denn Katharina verlässt Zürich, um in Luzern, im Hotel ihrer Tante Hausdame zu werden. Zufällig begegnen sich die beiden in Luzern, als Rudolf auf dem Heimweg von seiner Wanderschaft ist. Wenig später kommt auch Katharina zurück, um sich um die pflegebedürftige Mutter zu kümmern. Die Beziehung zu Rudolf kann endlich gedeihen, aber ihre Liebe wird lange auf die Probe gestellt. Gegen den Widerstand seines Vaters, mit Unterstützung des Apothekers, schafft Rudolf es auch, seinem Vater David die Bürgerrechte in Zürich zu verschaffen. David findet, das sei Geldverschwendung, er sei inzwischen, nachdem er die Zuckerbäckerei als Chef übernommen hat, auch so angesehen genug in der Gesellschaft. Doch Rudolf denkt weiter.

Zielstrebig, fleißig, ehrlich und angesehen. So lernen wir David und Rudolf Sprüngli und ihre Familie im ersten Teil der Saga kennen. Wirklich fesselnd geschrieben, historisch interessant und vor allem belegt, kein Roman zum Einfach-Drüberlesen. Wir begleiten die Sprünglis von 1826 bis in die 1860er Jahre, nehmen Anteil am Schicksal von insgesamt drei Generationen der erfolgreichen Familie. Die Entwicklung von der kleinen Zuckerbäckerei in der Marktgasse, die der Vater zunächst als Geselle, später dann als Eigentümer betreibt. Rudolfs Entwicklung vom kleinen Jungen zum erfolgreichen Confiseur, Chocolatier und Unternehmer, der in Horgen eine Schokoladenfabrik aufbaut und dem es gelingt, am späteren Paradeplatz, das heute noch bestehende (Luxus-)Café einzurichten. Man nimmt Anteil an Erfolgen und Rückschlägen, an Problemen, die immer wieder Träume vielleicht platzen lassen. Spannend und emotional. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Lisa Graf: Lindt & Sprüngli: Zwei Familien, eine Leidenschaft
Penguin, Oktober 2024
480 Seiten, Paperback, 17,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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3 Kommentare zu “Lisa Graf: Lindt & Sprüngli: Zwei Familien, eine Leidenschaft

  1. Meine Großmutter hieß Hirzel-Escher und wir hatten dadurch Vorfahren Sprüngli seit dem 16. Jahrhundert und einen Großonkel Sprüngli, der es am Paradaplatz wohl mit seinen Verkäuferinnen hatte. Wir nannten ihn deshalb Onkel Sittesprüngli (Seitensprüngli).

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