Mauersegler verbringen fast ihr ganzes Leben im Flug, selbst im Schlaf sind sie in der Luft.
Die Hündin Laika ist ganz allein in ihrer Raumkapsel gestorben.
Menschen machen manchmal die schlimmsten Dinge und haben doch die besten Absichten.
Prometheus rast im Auto, in seiner „Arztkutsche“, wie sein bester Freund Jakob sie genannt hat, gen Norden. Jakob ist nicht mehr da, er hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Prometheus war sein Arzt. Nun flieht er planlos und ohne Ziel – nur weg. Schuldgefühle und Verzweiflung bringen ihn immer wieder zum Schreien und Heulen. Irgendwo am dänischen Strand versucht er, sein Auto ins Meer zu fahren. Der Versuch misslingt. Er wird von zwei älteren Frauen aufgestöbert. Sie helfen ihm, sein Auto aus dem Sand zu ziehen und bieten ihm ein Zimmer auf dem Hof an. Aslaug und Helle führen ein einfaches und naturverbundenes Leben auf ihrem Pferde-Hof. Prometheus darf in einem ihrer Gästezimmer wohnen und die Miete mit Arbeit im Stall abgelten.
Schon auf der Flucht im Auto und auch später auf dem Hof überfallen ihn immer wieder Erinnerungen an sein früheres Leben und vor allem an Jakob. Erinnerungen aus der Kindheit, an gemeinsame Ausflüge, Abenteuer, Erkundungen. Und Erinnerungen an die letzten Wochen, als Prometheus seinen besten Freund retten wollte und dabei dessen Leben aufs Spiel setzte. Seite um Seite offenbart sich, in welche tiefe Schuld Prometheus sich verstrickt hat und wie es dazu kommen konnte. Dabei erlebe ich einen Mann, der schon lange in einem inneren Widerspruch feststeckt und sich nur widerwillig unterschwelligen Neid auf den Freund eingesteht, auf das Haus mit Garten, in dem Jakob aufgewachsen ist – Prometheus lebte mit seinen Eltern in einer engen Plattenbauwohnung. Oder darauf, dass dem Freund vieles leichter fiel. Und auch, weil Jakob immun gegen jegliches Statussymbol zu sein schien und Prometheus das nur vorgegeben hat. Die Studie zur Immuntherapie von Blasenkrebs wäre die Chance zum weiteren Aufstieg auf der Karriereleiter. Der Stolz seiner Eltern und Bestätigung in den Augen seiner Freundin. Und jetzt ist alles vorbei.
Jasmin Schreiber zeigt einen sympathischen Helden mit menschlichen Schwächen. Er hat den Aufstieg vom Arbeiterkind zum studierten Mediziner geschafft. Er ist hin und her gerissen zwischen dem Stolz auf Erreichtes und dem neidischen Blick auf die, die noch weitergekommen sind als er selbst. Er ist sich dieser Diskrepanz bewusst und betrachtet sich selbst mit viel Ironie. Die Geschichte wird überwiegend aus Prometheus‘ Sicht erzählt, der Leser wird zum Mitwisser und erlebt Verzweiflung, Selbstzweifel und Selbstzerfleischung. Es gelingt der Autorin, dass ich seine Handlungsweise verstehe und mit ihm auf einen Ausweg hoffe. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an den Strohhalm vom „Wir sind beste Freunde für immer“ und daran, dass sein Freund ihn verstehen würde. Ihm verzeihen würde, was er sich selbst nicht verzeihen kann. Die Autorin schildert glaubhaft Prometheus’ Auseinandersetzung mit seiner Schuld und seinen Wünschen. Das macht das Buch lesenswert.
Fazit: Eine spannende Story, die lange im Verborgenen hält, was den Helden belastet und gleichzeitig einen tiefen Blick in menschliche Schwächen erlaubt.
Jasmin Schreiber: Der Mauersegler.
Eichborn, August 2021.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.