Henri Faber: Gestehe

Jacket ist ein Star. Als Polizist der Wiener Leib-und-Leben und als Buchautor. Seit er in einer alten Lackfabrik einen Organhändlerring überführt und darüber ein Buch geschrieben hat, ist er mehr mit Interviews und Promotion beschäftigt als mit seiner Arbeit als Polizist. Die Story ist aber auch wie gemacht für einen Helden. Er und sein damaliger Partner wurden gefangen genommen und gefoltert. Schwerverletzt gelang es ihm, sich zu befreien und im Alleingang alle Bösen zu töten, um mit dem letzten überlebenden Opfer, der kleinen Beany, auf dem Arm genau in die Arme der Fotografen zu laufen. So steht es in seinem Buch und so glaubt es die Welt. Nur, dass er selbst sich nicht daran erinnert. Alles zwischen Gefangennahme und Fotografen ist wie ausgelöscht in seinem Gedächtnis, viel wurde erfunden, um die Lücken zu füllen. Wie sein Kollege gestorben ist? Genau weiß er es nicht. Seine Therapeutin Nora erklärt das mit Verdrängung. Mit der Zeit es ist ihm gelungen, selbst an das zu glauben, was in dem Buch steht. Er ist Jacket, er ist der Held.

Er selbst hat das Buch jedoch nicht geschrieben, sondern sein Agent hat ihn die Geschichte erzählen lassen und mit Hilfe eines Ghostwriters daraus das erfolgreiche Buch gemacht. Jetzt ist ein zweiter Band in Arbeit, diesmal soll es völlig fiktiv sein. Aber ist es das tatsächlich? Nachdem Jacket den ersten Teil zur Ansicht zugeschickt bekommen hat, findet ein Mord tatsächlich wie beschrieben statt. Und dann ein zweiter und ein dritter. Immer ist Jacket als Erster am Tatort. Kann das noch Zufall sein?

Mo ist ebenfalls Ermittler bei der Leib-und-Leben, aber nicht halb so erfolgreich wie Jacket. Das liegt weniger an seiner Begabung, als vielmehr an seiner Herkunft – und ein bisschen auch daran, wie er damit umgeht. Er will wienerischer sein als jeder Wiener, organisierter als jeder Kollege und steht sich damit häufig selbst im Weg. Dabei ist er aber hochtalentiert, in der Lage, die richtigen Schlüsse zu ziehen und seine Organisiertheit schadet auch nicht bei der Aufklärung. Die beiden so unterschiedlichen Ermittler müssen zusammenarbeiten, um den Fall zu lösen und weitere Morde zu verhindern. Dabei haben beide aus ihrer jeweils eigenen Vergangenheit deutliche Vertrauensprobleme, was es nicht einfacher macht.

Henri Faber hat einen spannenden Thriller rund um die Organmafia beschrieben und gibt dabei den Opfern eine Stimme. Es geht nicht um diejenigen, die mit dem Organhandel Geld verdienen, nur wenig um die, die glauben sich mit Geld Leben erkaufen zu können, nicht um korrupte Chefärzte, sondern es geht um die, die die Organe geben und das manchmal überleben, häufig aber nicht. Es geht um ihre Verwandten, die nur ahnen, was mit ihren Lieben passiert ist und vor allem geht es darum, um wen sich die Gesellschaft schert und um wen nicht. Dass die Opfer aus der Lackfabrik bis zum Ende keine Namen bekommen – und die Wiener Polizei auch nicht ernsthaft versucht hat, ihnen Namen und Gesichter wiederzugeben – ist hier kein Zufall.

Auf der einen Seite der scheinwerferaffine Jacket, auf der anderen Mo, der immer noch am liebsten in der Menge verschwinden möchte. Auf der einen Seite Mordopfer, deren Tod – egal wie D ihr Promistatus inzwischen geworden war – immer noch eine Titelgeschichte wert sind; auf der anderen Seite Opfer, deren Geschichte herauszufinden niemandem die Mühe wert scheint.

Ich bin Henri Faber bei seinem Plot ziemlich auf den Leim gegangen, bin seinen Zweifeln gefolgt und habe mich im kompletten letzten Drittel gefragt, wann die Ermittler endlich auf den letzten Täter kommen. Glückwunsch Henri Faber, die Spur war perfekt gelegt. Genau die richtige Menge an Information und Desinformation für mich. Auch hier folgt der Autor wieder seinem Stil, dass das Ende noch nicht das Ende ist.

Fazit: spannender Thriller um ein fast vergessenes Thema mit interessanten Blickwinkeln.

Henri Faber: Gestehe
DTV, Februar 2024
448 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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