Helga Schubert: Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten

Helga Schubert blickt auf 80 Jahre zurück, auf ein bewegtes Leben. Sie hat viele Geschichten zu erzählen. Jetzt ist ihr Erzählband „Vom Aufstehen – Ein Leben in Geschichten“ erschienen. Geboren 1940 in Berlin, großgezogen von ihrer Mutter – der Vater fiel 1941 an der Wolga – ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind. Schule, Studium und Arbeitsleben in Berlin, inzwischen wohnt sie mit ihrem Mann in Neu-Meteln in der Nähe von Schwerin. Sie hat als Psychologin gearbeitet und war seit den 70er Jahren als freie Schriftstellerin erfolgreich. Sie veröffentlichte Kinderbücher und Erzählbände, aber auch Sachbücher. Für die Titelgeschichte erhielt sie 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis.

In 29 Geschichten schreibt Helga Schubert über ihr Leben. Die einzelnen Texte sind allesamt biographisch, aber nicht chronologisch angeordnet. Sie behandeln scheinbar zufällig Lebensstationen der Autorin und Ich-Erzählerin.  Ich lese von sorgenfreien Sommerferien bei der Großmutter, davon, wie Mutter und Vater sich fanden und wieder verloren, vom Alltag in der DDR und ihrer Freude über die deutsche Einheit, von Begegnungen mit anderen Menschen und immer wieder werde ich eingeladen, Bilder und Assoziationen wirken zu lassen oder verschiedensten Betrachtungen zu folgen. Manche Geschichten sind wie kurze Streiflichter auf ein Objekt geworfen, andere greifen ein Ereignis auf, um daraus ein Geflecht aus Erinnerungen und Gedanken zu erschaffen.

Jede der Geschichte ist ein Puzzleteil, sie geben Stück für Stück den Blick frei auf ein Leben mit Höhen und Tiefen, erzählen von Siegen und Niederlagen, von Verletzungen, die verheilt sind und solchen, die noch heilen wollen. Sie kreisen um das alles bestimmende Thema des Buches – um das schwierige Verhältnis der Ich-Erzählerin zu ihrer Mutter, welche sie als lieblos, als liebesunfähig beschreibt. Man spürt die Fremdheit zwischen den beiden Frauen, die fast nichts gemeinsam haben. Man spürt die Verletzungen, ausgelöst durch Worte und Handeln.

Helga Schubert schreibt mit klarer schnörkelloser Sprache, sie vermeidet jedes Pathos und die meisten Texte sind von feiner Ironie durchzogen. Es entsteht der Eindruck eines schwer fassbaren Abstands zu den Geschehnissen. Den braucht es offenbar, um Erlebtes erträglich zu machen.

Ich empfand das Buch als Versuch einer Annäherung und die einzelnen Texte als Weg zu sich selbst, zur eigenen Lebensgeschichte. Es ist ein Buch über Verzeihen und Ankommen, über die Freude an jedem neuen Tag.

Helga Schubert: Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten.
dtv, März 2021.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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Ein Kommentar zu “Helga Schubert: Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten

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