Golnaz Hashemzadeh Bonde: Was bleibt von uns

Diesem Buch muss man sich stellen, muss es aushalten. Denn es tut weh, es ist aggressiv, es verstört. Die Autorin, als Kind aus dem Iran nach Schweden geflohen, schont ihre Leserinnen nicht. Sie eröffnet vielmehr einen ungewohnten, einen gewöhnungsbedürftigen Blick auf Krankheit und Tod.

Der Klappentext führt hier eher in die Irre. Im Grunde geht es um die Bewältigung von und den Umgang mit der Nachricht, bald sterben zu müssen. Das ist es, was der Protagonistin und Ich-Erzählerin Nahid widerfährt. Nahid, im Iran geboren und aufgewachsen, lebt heute, sie ist sechzig Jahre alt, in Schweden. Sie wohnt allein, ihre Tochter Aram lebt in einer Beziehung mit dem Schweden Johann. Als Nahid von ihrer Ärztin die Nachricht bekommt, sie habe nicht mehr lange zu leben, wirft sie das völlig aus der Bahn. Sie kann das nicht verarbeiten, sie ist wütend, auf alles und jeden. Nahid will nicht sterben, sie will, dass die Ärzte alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihr Leben zu retten. Nahids Zorn richtet sich auch besonders gegen Aram, diese Tochter, die ihr nicht nahe ist, die, in Nahids Augen, zu wenig besorgt ist um ihre Mutter, die zu wenig weiß über Nahids Geschichte.

Diese Vergangenheit, all das, was in Iran geschah, als Nahid Medizin studieren wollte und in die Revolution verwickelt wurde, davon hat sie ihrer Tochter nie erzählt. Nun, in der ihr laut den Ärzten gering bemessenen Restlebenszeit, erinnert sie sich daran, bruchstückhaft, erratisch, schmerzhaft und schonungslos. Sie erinnert sich an Masood, ihre erste Liebe und der Vater Arams, an seine Hingabe an die Sache der Revolution und an seine Gewalt gegen sie und das Kind. Sie denkt an ihre kleine Schwester, die während einer Demonstration spurlos verschwand und sie denkt an ihre Mutter, die sechs Töchter aufzog, und mit der sie immer wieder versucht, zu telefonieren. Dazwischen kämpft sie gegen alle und alles, stößt Ärzte und ihre Tochter brutal vor den Kopf. Nahid will sich nicht abfinden mit ihrer Krankheit, weiß nicht, wohin mit ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung.

Hier wird nichts beschönigt, nichts idealisiert. Anders als in vielen Romanen und Filmen, in denen die Krebspatienten heldenhaft dem Tod ins Auge sehen, zeigt Bonde in ihrem Buch schonungslos, was die Krankheit mit dem Patienten macht und wie das Umfeld der Betroffenen mit einbezogen wird. Es schmerzt, das zu lesen, es erschüttert, aber es ist viel ehrlicher als die Romantisierung solcher Situationen.

Das macht es nicht leicht, die Protagonistin zu mögen, mit ihr zu sympathisieren, Mitgefühl zu empfinden. Sie ist ungerecht, aggressiv, sie wird von ihrer Wut ebenso zerfressen wie von der Krankheit. Die Leserin kann Verständnis empfinden, Sympathie für Nahid fällt da schon schwerer.

Die Lektüre dieses außergewöhnlichen Romans lässt einen nicht unberührt, wirkt noch eine ganze Zeit nach. Es sollte mehr solche ehrlichen Bücher geben.

Golnaz Hashemzadeh Bonde: Was bleibt von uns.
Aus dem Schwedischen übersetzt von Sigrid C. Engeler.
btb, Juni 2021.
224 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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