Dorothy Baker: Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft (1938)

Die Geschichte von Rick Martin ist eine besondere. Sie erzählt von einem großen Talent, das per Zufall als Jugendlicher den Jazz kennen und lieben lernt. Nach dem frühen Tod der Mutter und dem Verschwinden des Vaters war Ricks Leben ziemlich karg. Schon als Neugeborener wird er von seinen älteren Geschwistern groß gezogen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal volljährig waren. Viel allein gelassen, lernt er erst spät gesellschaftliche Konventionen kennen. Aus diesem Grund wird der schwarze Schlagzeuger Smoke sein erster und bester Freund. Von ihm lernt er die Rhythmen des Jazz. Smokes Freunde in der Jazz-Szene werden im Laufe der Jahre auch seine Freunde. Für Rick gibt es nur noch die Musik, die Liebe seines Lebens.

Die Amerikanerin Dorothy Baker lebte von 1907 bis 1968. Nach ihrem Studium in Los Angeles heiratete sie den Dichter Howard Baker. Ihr wegweisender Debütroman »Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft« erschien 1938 und wurde ein grandioser Erfolg. Und dies zu Recht. Mit viel Liebe und Sachkunde steckt sie auch den nicht so musikerfahrenen Leser an, die Einzigartigkeit des Jazz zu erkennen.

Sie beginnt mit einem Erzähler, der im Vorwort den Musiker Rick Martin vorstellt, der in die Vollen ging und daran viel zu früh starb. Mit diesem Kunstgriff suggeriert die Autorin, Rick Martin habe gelebt, und es wäre höchste Zeit, einem großen Musiker zu huldigen. Tatsächlich lässt sie sich von zeitgenössischen Musikern inspirieren und bescherte insbesondere dem 1931 verstorbenen Leon (Bix) Beiderbecke posthum einen enormen Bekanntheitsgrad. Diese Reaktionen verweisen indirekt auf Dorothy Bakers große Fabulierkunst, die mitreißt und Empathie weckt. In der konsequent eingehaltenen Schlichtheit der Sprache wird die wahre Größe ihrer Kunst sichtbar.

Ricks ergreifende Lebensgeschichte ist gleichzeitig mit einem Stück Musikgeschichte verwoben. Die zweite Hauptfigur in ihrem perfekten Roman ist aus diesem Grund natürlich der Jazz, der reine, wahre Jazz, dem der Kommerz gewaltsam gängige Melodien für den Tanzboden abverlangt. Und weil der wahre Jazz nur von wenigen verstanden wird, haben auch die grandiosen Musiker darunter zu leiden. In Bakers Roman spielt es selbstverständlich keine Rolle, welche Hautfarbe ein Musiker hat. Es gilt nur das Können. Und so schließt sich der Kreis in ihrem brillanten Roman. Hier stimmt einfach alles. Wunderbare Charaktere, Humor, Sachkunde, stimmige Dialoge und Atmosphäre, kein Wort zu viel, pure Sprache ohne Finten und Schnörkel, auf die andere Autoren kaum zu verzichten wagen.

Dorothy Baker: Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft (1938).
dtv, November 2017.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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