Tom sitzt eine mehrjährige Haftstrafe ab. Er stammt aus einer bildungsfernen Familie, hat keinen Schulabschluss, nie richtig lesen und schreiben gelernt und seine Probleme entweder durch Gewalt oder durch Weglaufen gelöst. Im Gefängnis soll er, der nie sozialisiert gewesen ist, resozialisiert werden.
Sein Leben spielt sich in der Enge und Isolation seiner Zelle ab, durchbrochen von streng reglementierten Hofgängen und genau festgelegtem Umgang mit seinen Mithäftlingen, ohne Außenkontakte, da er mit seiner Familie schon lange nichts mehr zu tun hat. Sich selbst überlassen und einsam, kämpft Tom in seiner Zelle mit Erinnerungen und beginnt, über sein Leben nachzudenken. Einzige Lichtblicke im Knastalltag sind der freundliche Vollzugsbeamte „Papa Witt“ und die Freundschaft zu den Häftlingen Kemal und Pino, die sich loyal verhalten und ihm ab und an ein Päckchen Tabak zuschustern.
Nach dem Weihnachtsgottesdienst drückt der Gefängnisseelsorger ihm ein Päckchen mit der Karte eines Paul Georg Schulte in die Hand. Das Geschenk des Unbekannten, ein Steckpuzzle, stürzt Tom, der nur schwer Vertrauen aufbauen und mit Zuwendung kaum umgehen kann, in eine Krise. Nur auf Drängen und mit Hilfe seines Knastkumpels Kemal schreibt er einen kurzen Dankesbrief.
Schulte wird sein ehrenamtlicher Betreuer, der zu Tom hält und ihn regelmäßig besucht, obwohl dieser immer wieder gegen die als Bevormundung empfundene Beziehung aufbegehrt. Ermutigt durch seine Freunde Kemal und Pino engagiert sich Tom in der Redaktion der Knastzeitung, wo er das erste Mal in seinem Leben Anerkennung erfährt. Mit gestärktem Selbstbewusstsein entschließt er sich, den Hauptschulabschluss im Gefängnis nachzuholen.
Allmählich begreift er, dass jede seiner Handlungen Konsequenzen nach sich zieht und dass er selbst die Verantwortung für sein Leben trägt. Doch er hat noch einen weiten Weg vor sich.
Dorothea Müller hat selbst viele Jahre Strafgefangene betreut wie der Ehrenamtler Schulte in ihrem Jugendroman „TOM – eine Knastgeschichte“ und kennt genau, worüber sie berichtet. Die erdrückende Enge, die Isolation, die Langeweile, aber auch den Halt, den der strikt geregelte Gefängnisalltag geben kann, beschreibt die Wuppertaler Autorin eindringlich aus der Perspektive Toms. Der Leser ist ganz nah an der Figur, kriecht in seinen Kopf und erlebt seine Ängste, seine Wut, seine Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch die aufkeimende Hoffnung hautnah mit.
In kurzen Kapiteln und in knapper, präziser Sprache schildert die Wuppertaler Autorin das Leben im Gefängnis realistisch und ohne Beschönigung. Die kongenialen Illustrationen in schwarz-weiß von Frank Müller, der auch das geniale Cover entworfen hat, spiegeln die beklemmende Welt im Knast und das Innenleben Toms eindrucksvoll wieder.
Fazit: Eindringliches und unter die Haut gehendes Psychogramm eines Strafgefangen. Unbedingt lesen.
Dorothea Müller: TOM – eine Knastgeschichte.
Verlag 3.0 Zsolt Majsai, Oktober 2015.
160 Seiten, Taschenbuch, 9,50 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Martina Sprenger.