In seinem autobiografischen Roman „Die verborgenen Ufer“ blickt Christian Haller auf seine eigene Entwicklung vom Kind zum jungen Mann zurück.
Immer wieder wird im Verlauf der Handlung deutlich, wie wenig Haller als jemand, der gerne Gedichte schreibt und nach verschütteten Artefakten aus längst vergangenen Zeiten gräbt, mit den Erfordernissen eines rauen Alltags zurechtkommt. Das fängt in der Schule an, wo er auf einen prügelnden Pädagogen trifft, und setzt sich Jahre später im Schauspielseminar fort – und nicht nur dort.
Haller eckt mit den Eltern an, die (natürlich) von ihm verlangen, einen handfesten Beruf zu ergreifen. Stattdessen landet er als Aushilfe in einer Buchhandlung, die kurz vorm Bankrott steht. So weit, so klischeehaft: So oder so ähnlich kann man das sicher in hunderten Künstlerbiografien finden.
Was bei diesem Buch aus dem Rahmen fällt, ist die verkrampfte Art, mit der der junge Christian Haller mit Frauen umgeht. Obwohl bereits 19 Jahre alt, verzichtet er auf eine gemeinsame Urlaubsreise mit der Freundin, weil der Vater es nicht erlaubt hat. Später will er mit einer anderen Frau nicht schlafen, weil er den gängigen Verhütungsmethoden misstraut. Das alles steht sicherlich auch für die Zeit, über die der heute 72-jährige Schweizer Autor schreibt: die 60er-Jahre. Und doch sind das Aspekte, die einem Leser von heute den Roman entfremden könnten. Der Grat zwischen bewunderungswürdiger – weil sensibel empfindsamer – Künstlerseele und einem einfach nur schrecklich biederen und verklemmten Jüngling ist dünn.
Obwohl: Das kann man natürlich auch positiv sehen. Haller ist in diesem Buch nicht darauf bedacht, sich selbst ausschließlich im rosaroten Licht darzustellen.
Christian Haller: Die verborgenen Ufer.
Luchterhand, November 2015.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.