Solange Léo Martin zurückdenken kann, will er der Beste sein. In der Schule und auch später. Er glaubt, nur so könne er dem Schrottplatz seines Vaters entfliehen. Und es sieht so aus, als gebe ihm der Verlauf seines Lebens Recht: Ein Stipendium für die Eliteschule in Montverre, der jüngste Goldmedaillengewinner in der Geschichte der Schule, und nach dem erfolgreichen Studienabschluss wird er der jüngste Kulturminister. Bisher hat er den Preis für seine politische Karriere ignoriert. Doch dann, als ihm eine Gesetzesvorlage zu weit geht und er diese deshalb ablehnt, wird er sofort abgesetzt. Dabei dachte Léo stets, er stünde in der Gunst des ‚Alten‘ ganz oben und genieße Freiheiten. Viel zu schnell sitzt er wieder in Montverre in der Eliteschule, um offiziell private Studien zu betreiben. Tatsächlich beginnt für ihn die pure Langeweile. Denn in dem alten Gemäuer hoch oben in den Bergen gibt es außer dem Studium und unangenehmen Erinnerungen kaum Ablenkung. Womit Léo ebenfalls nicht rechnet, ist das Aufeinandertreffen mit Magister Ludi, der Meisterin des großen Spiels. Sie ist zugleich Claire, die Schwester seines früheren Studienfeindes- und Freundes Carfax. Ihre Verbindung ist von Anfang an mit offenen Rechnungen und Schuldgefühlen belastet.
Bridget Collins studierte in London an der Academy of Music und Dramatic. Sie schreibt Stücke und Romane. Ihr erfolgreicher Roman Das große Spiel erscheint in mehreren Ländern und wurde von Ulrike Seeberger übersetzt. Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel inspirierte sie, mit der Hierarchie eines elitären Schulsystems zu spielen. Die Vereinigung von Wissenschaft und Kunst, insbesondere der Musik, bilden die Basis zu Bridget Collins Version des großen Spiels.
Wer im großen Spiel Wahrheit und Schönheit zum Ausdruck bringen möchte, müsste ein besserer Mensch werden, sagte Carfax während ihrer Arbeit. Léo versteht den Sinn und versteht in wiederum nicht. Er muss sehr viel lernen, bis er den Sinn von Carfaxs Aussage begreift.
Während ein totalitäres politisches System das Leben aller und auch seines maßregelt, geht Léo auf seine ganz persönliche Reise der Erkenntnisse und stellt sich der Frage, was für ein Mensch er sein will.
Seine Gegenspielerin Claire fechtet dagegen andere Kämpfe aus. „Sie sagt sich, dass sie auch schon früher versagt hat. Sie ist auch schon früher gedemütigt worden. Das beruhigt sie nicht.“ (S. 286) Denn überall finden große Spiele statt und dies nicht nur in der Kunst.
Bridget Collins: Das große Spiel.
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Seeberger.
Rütten & Loening, September 2021.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.