Boris Koch: Moorläufer: Im Reich des letzten Drachen

Seit Generationen leben, malochen und sterben sie hier. Die Rede ist von den Torfstechern, die ihr karges, gefährliches Dasein in Nebelbruch, am Rand des ewigen Zwielichts des Moores fristen. Bevölkert von Irrlichtern, gefährlichen Tieren und dem letzten der Drachen gehen sie Tag für Tag ihrer Arbeit für den König und die Freifrau, die in seinem Namen Recht spricht und den Zehnten eintreibt, nach. Nur hier in den Schwarzmooren findet man den Torf, der die Alchemisten des Königreiches dazu befähigt, ihre Magie zu wirken – und damit den König zum mächtigsten der Herrscher macht.

Sehr selten entdeckt man im Torf verborgen ein Juwel, den legendären Moordiamanten. Auch wenn dieser sofort dem König übergeben werden muss, bringt ein solcher Fund Freude in das Dorf der Torfstecher – ein vom Herrscher ausgelobtes und bezahltes Fest beginnt, der Finder erhält eine monetäre Belohnung, alle freuen sich.

Als Milans Schwester einen Moordiamanten findet, hält sie sich nicht an die Vorgaben. Statt das Juwel zu melden und abzugeben, behält sie es für sich – und wird vom Nachtwyrm zerrissen. Der Diebstahl führt dazu, dass das gesamte Dorf bestraft, dass Milans Familie fürderhin gemieden wird.

Dass Milan seine Schwester nicht aufhielt, dass er das Verbrechen, das den strengen Ehrenkodex der Gemeinschaft verletzt und die Familie zu Parias degradierte, nicht verhinderte, verändert sein Leben abrupt. Die brutale körperliche Züchtigung des Jungen durch seinen Vater, die einsame Beisetzung seiner Schwester ohne jegliche Trauergemeinde prägen ihn. In der Folge beginnt er, das Moor zu durchstreifen und weckt damit das Interesse des örtlichen Alchymisten.

Dieser versucht sich im Geheimen an einer verbotenen Kunst – auch wenn dies bedeutet, dass der Tod unter Menschen und Irrlichtern wütet. Doch er hat einen neuen, mittels Schwurtrank magisch gebundenen Helfer – Milan.

Auf der Suche nach den Geheimnissen, nach einem weiteren Moordiamanten, nach Erklärungen und nach seiner eigenen Zukunft ahnt dieser nicht, dass die Alchymisten seit Generationen ein dunkles Geheimnis teilen und weit mehr ins Leben der Torfstecher einwirkt, als je gedacht …

Boris Koch hat uns mit seiner bei Heyne publizierten bislang fünf-bändigen Jugendbuchreihe um den Drachenflüsterer an die Seiten gebannt. Neben weiteren, zum Teil preisgekrönten Jugendbüchern erschien im Knaur Verlag seine zweiteilige Märchenadaption um die „Narrenkrone“.

Nun also wieder, sich eher an ein erwachsenes Publikum richtend, ein neuer Einzelroman aus seiner Feder.

Koch entführt uns in eine atmosphärisch sehr dicht gezeichnete Welt am Rande eines großen Moores. Seit Generationen sind die Rollen hier fest zementiert – hier der König, dessen Untergebene und die Alchymisten – dort die Bauern und Handwerker und dann, ganz am unteren Ende der Machtpyramide, die Torfstecher.

Sie, die außer ihrer Ehre kaum etwas haben, denen ein Ausbrechen aus ihrem Schicksal schlicht nicht erlaubt wird, stehen im Zentrum des Geschehens. Die aufopfernde, körperlich fordernde Arbeit hinterlässt ihre Spuren. Aus diesem Elend kommt unser Protagonist, der bedingt durch den Verlust einer Schwester nach Erklärungen sucht. Das ist erneut, wie wir dies von dem Verfasser kennen, ein interessanter, liebevoll gezeichneter Protagonist. Er ruht in seinem sozialen Umfeld, agiert hier nachvollziehbar und erringt durch seinen Mut unsere Sympathie.

Dabei ist der Roman einmal kein Lautsprecher – Großes Schlachtengetöse, weltbewegende Ereignisse, große Helden sucht man vergebens – und dies ist auch gut so. Auf leisen Sohlen entführt uns Koch in seine düstere Handlung voller Elend, Schmerzen und Gefahren – fasziniert dabei durch seine einprägsamen Figuren und beendet seinen Plot in sich stimmig, wenn auch nicht wirklich triumphierend.

Boris Koch: Moorläufer – Im Reich des letzten Drachen
Knaur Verlag, Mai 2023
394 Seiten, Paperback, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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