Der sterbende Vater macht die Journalistin Katharina auf einen Brief aufmerksam, den er vor langer Zeit geschrieben und versteckt hat. Darauf steht „Nach meinem Tod zu öffnen“. In dem Schriftstück spricht er nur Katharinas Brüder Toni und Thomas an. Er gibt ihnen gute Ratschläge für das Leben und Tipps, wie sie das Familienunternehmen führen sollen. Katharina wird nur in einem lapidaren Nebensatz erwähnt. Frauen zählen nicht viel in der Familie und das seit Generationen. Sie stehen im Hintergrund, stärken den kulturell und unternehmerisch tätigen Männern den Rücken, haben Kinder zu versorgen, den Haushalt zu organisieren und sich in die Vorgaben des Hausherrn zu fügen. Das macht Katharina wütend. Auch ihre Mutter, nach dem Tod des Vaters führerlos, weiß nicht recht, wohin mit sich, weil sie ihr Leben nie wirklich selbst in die Hand nehmen durfte. Geraume Zeit nach dem Begräbnis des Vaters räumt Katharina gemeinsam mit der Mutter seine Sachen zur Altkleidersammlung.
Dabei fällt ihr ein Fotoalbum in die Hände. Einige Bilder zeigen eine Trauergemeinde und einen Grabstein mit der Inschrift: „Unser Liebling Gabriele Maria, 1948 – 1949“. Diese als Baby verstorbene Gabriele, die Schwester des Vaters und die Tante Katharinas, wurde in der Familie im wahrsten Sinne des Wortes totgeschwiegen. Katharinas Oma Eva hat offiziell, wie die biblische Eva, nur Söhne. Dabei kann sie zeit ihres Lebens ihre kleine Tochter nie vergessen und ihren Tod nur schwer überwinden. Mit ihrer Trauer bleibt sie jahrelang allein. Das früh verstorben Mädchen ist Mitte des 20. Jahrhunderts keine Erwähnung und kein Andenken wert. Niemand weiß heute mehr, wo Gabriele begraben liegt. Das soll sich ändern. Katharina recherchiert. Es gab zwar ein Grab, der Platz am Friedhof wurde aber relativ schnell wieder für Erwachsene gebraucht. Wo das Kind geblieben ist, geht aus den Pfarrmatrikeln nicht hervor. Tatsächlich weiß letzten Endes nur Eva, was mit ihrem Mädchen passiert ist, weil sie sich zu einem mutigen Schritt entschließt.
„Eva und Söhne“ ist ein schmales Buch, das sich nicht deprimierend liest, obwohl es darin viel um Tod und Sterben geht. Man merkt ihm aber sehr wohl den Groll der Autorin darüber an, dass sogar noch im 21. Jahrhundert für manche Väter nur die Söhne zählen und das kurze Leben eines Mädchens nicht von Bedeutung ist.
Beate Kniescheck: Eva und Söhne.
Septime Verlag, August 2022.
144 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Karina Luger.
Das scheint ja elegant verarbeitet zu sein, dass so schwere Themen angegangen werden ohne, dass es deprimierend wirkt;)
Liebe Grüße
Cornelia
Liebe Cornelia, schlechte Bücher lese ich nicht fertig. Schade um die Lebenszeit. Selbstverständlich ist „gute“ Literatur aber immer eine absolut subjektive Sache. 🙂 Herzliche Grüße! Karina