„Der Ort“ ist Teil vier einer Romanfolge, in denen der Autor sich wesentlicher autobiografischer Züge bedient.
Andreas Maier nimmt die LeserInnen mit zurück in die achtziger Jahre, in den Lebensabschnitt seiner Adoleszenz. Alles spielt sich in und um das ihm vertraute hessische Städtchen Friedberg ab, das stellvertretend für ein typisches deutsches Kleinstadtmilieu steht. Sofort taucht man ein in die authentisch ausgeprägte Erzählhaltung, die so viel Nähe und Vertrautheit ausstrahlt, dass längst Vergessenes aus der eigenen Vergangenheit plötzlich wieder in der Erinnerung präsent ist.
Da sind die Gummitwist und Hickelkästchen spielenden Mädchen, unter ihnen die Tochter des Buchhändlers und vor allem Katja Melchior. Man kennt sich schon lange, aber irgendwann entsteht eine Nähe zwischen Katja und dem Erzähler, die wie selbstverständlich ist. Auf einer der ständigen nächtlichen Parties bemerken die anderen dann auch, dass Katja und Andreas nun zusammen sind, was ihn in der Hierarchie unter den Jungen wieder um ein paar Punkte steigen lässt.
Faszinierend zu lesen sind die bis ins kleinste Detail geschilderten Abläufe der Annäherung zwischen Andreas und Katja.
Weiter lesen wir in diesem Reifeprozess von der plötzlichen Loslösung und der in ein anderes Ich getauchten Persönlichkeit, einer neu erwachten Autarkie. Vom Zustand einer nicht enden wollenden Metamorphose, in der alles, was bis dato selbstverständlich war, hinterfragt wird. Vom Ausleben/Eintauchen in einen vermeintlich zwingenden Verweigerungs- bzw. Entsagungszustand, der u. a. darin mündet, dass der Erzähler nicht nur seine gewohnte Kleidung ablegt und nun in zerschlissene Secondhand-Ware schlüpft, sondern sich auch von den nicht leergegessenen Tellern anderer ernährt. Romane von Hamsun und Dostojewski werden seine Begleiter. Todessehnsucht, der er sich ausgesetzt fühlt, ertränkt er in Alkoholexzessen. Eine politische Veranstaltung der CDU wird mit Pöbeleien attackiert.
Andreas Maier spiegelt die Lebensphase innerlicher Zerrissenheit und Selbstfindung mit leichter Feder treffsicher und gehaltvoll.
Eine starke Erkundung eines jugendlichen Erzähler-Ichs.
Andreas Maier: Der Ort.
Suhrkamp, Mai 2015.
154 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.