Akram El-Bahay: Wortwächter

Es ist schon eine Krux, wenn die eigenen Eltern meinen, ihren zweiten Frühling zu erleben und die ausgefallene Hochzeitsreise nachholen zu müssen. Paris, die Stadt der Liebe ist da angesagt, doch wohin nur mit dem zwölf-jährigen Filius? Da kommt ein verschrobener Onkel in England natürlich geschickt und schon findet sich Tom vor einer alt-ehrwürdigen Villa zwei Stunden von London entfernt – also mitten in der Pampa – wieder. Internet gibt es hier genauso wenig wie Handyempfang – sogar einen TV – natürlich ohne Streaming Möglichkeit – sucht Tom vergebens. Statt dessen, wo das Auge hinfällt alte Schwarten, pardon Bücher! Das kann ja gähnend werden, denkt Tom da noch. Dass sein Onkel in Will einen etwas merkwürdig aussehenden Butler mit Augenbrauen und Haaren hat, die gerne einmal verrutschen und der sich sein Gesicht schminkt verwirrt Tom. Mehr noch aber erstaunt ihn der Fund im Keller des Anwesens.

Hier überrascht er in seiner ersten Nacht einen Einbrecher, einen Dieb und Entführer, der nicht nur wertvolle Blätter, sondern auch seinen Onkel entwendet – sprich kidnappt. Dass eines der Blätter, das er sich schnappt, sich selbst beschreibt hätte er noch als Alptraum abtun können, dass ihn der Text aber direkt und ganz persönlich anspricht und von Bibliothekaren und Lectorii, Lesende und Schreibenden berichtet und offensichtlich mehr über Tom, seine Gedanken und Gefühle weiß, als ihm recht ist macht die Sache mysteriös.

Doch eines weiß Tom – er muss bei der Befreiung seines Onkels, so verschroben der auch sein mag – helfen. Zumal just da ein Mädchen aus Frankreich an der Tür auftaucht – Joséphine Vernes Vater wurde ebenfalls entführt. Dass sich Will dann als belebte Statue des Dichterfürsten William Shakespeare entpuppt ist weniger aufregend wie der Besuch bei dem Geheimbund der Bibliothekare, der in Big Ben residiert.

Die Schreiber erpressen die Leser – wenn diese die Entführten wiedersehen wollen, sollen sie gefälligst die goldene Feder des ersten Phönix herausrücken. Als diese der Erpressung nicht nachgeben wollen ist für Tom, Joséphine und Will klar, dass es an ihnen ist, die Entführten zu retten …

Akram El-Bahay ist uns zunächst aus seiner Flammenwüste-Trilogie bekannt. Mit dieser führte er die orientalische Fantasy zu neuen Ufern, bevor er mit „Henriette und der Traumdieb“ seinen ersten Ausflug ins Jugendbuch startete. Schon hier, weit mehr aber in „Die Bibliothek der flüsternden Schatten – Bücherstadt“ dokumentierte sich seine Liebe zum Medium Buch in seiner gedruckten Form. Bibliotheken, Abenteuerschmöker und Kladden haben es ihm angetan, und das merkt man seinen Werken an. Und genau hier setzt er in vorliegendem Schmöker im positiven Sinne an. Es geht um Bücher, um Bibliotheken, um Wortwächter und Geheimgesellschaften und das alles verpackt in einer rasant aufgezogenen Jagd rund um den Globus.

Die beiden jugendlichen Protagonisten – Tom und Joséphine – dienen hier als ideale Erzähler. Sie sind altersgerecht gezeichnet, insbesondere die Einstellung am Beginn des Romans, dass alles was nicht elektronisch über WLan hereinkommt langweilig und abzulehnen ist, dürfte der gängigen Überzeugung der meisten Jugendlichen entsprechen.

Dann geht es darum, Verantwortung zu übernehmen, sich einer Herausforderung zu stellen, eigene Überzeugungen zu hinterfragen und letztlich etwas zu wagen. Dies alles wird, wohl versteckt in einer rasanten Abenteuerhandlung kredenzt. Mit hinein verwebt hat der Autor dabei Figuren der Weltliteratur. Shakespeare hatten wir bereits erwähnt, C.S. Lewis (Narnia), Doyle (Sherlock Holmes) und Edgar Wallace (Der Hexer) und viele weitere Anspielungen und Figuren warten darauf, dass der Leser sie entdeckt. Dass muss nicht unbedingt geschehen, trägt aber unbestritten zur Lesefreude bei.

Und es ist ein Roman über die Macht der geschriebenen Worte, über die Schönheit des gebundenen Buchs. Dies spiegelt sich auch in der Sprache, die El-Bahay verwendet wider. Ohne die Zielgruppe zu überfordern, setzt der Autor seine Wörter sehr bewusst, bemüht sich auch hier zu differenzieren, zitiert auch immer wieder aus bekannten Büchern der Welt(jugend)literatur und erzählt ein packendes, abwechslungsreiches Abenteuer.

Fazit: Beste Jugendbuchliteratur voller Magie der Worte abseits der sonst üblichen Pfade.

Akram El-Bahay: Wortwächter.
Ueberreuter Verlag, Februar 2018.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 14,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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