Véronique Olmi: Der Mann in der fünften Reihe

Ein halbes Jahr haben sich Nelly und Paul nicht mehr gesehen. Ihre Trennung geschah einvernehmlich, fast spontan während eines Telefonats. Für Nelly, eine bekannte Schauspielerin, blieb das Wichtigste ungesagt.

Eines Abends entdeckt sie ihn wieder. Er sitzt im Publikum in der fünften Reihe, so dass sie ihn direkt beim Einzug in den ersten Akt sieht. Das Ungesagte, Verdrängte kommt so plötzlich in ihr hoch, dass sie den Text vergisst und in ihrer Rolle komplett versagt. In der Pause kann sie ihren Nervenzusammenbruch nicht mehr verheimlichen. Nelly rennt aus dem Theater. Weil es für sie keinen Ersatz gibt, wird die Aufführung abgebrochen. Der Eklat ist perfekt. Auf einer Parkbank findet sie einen obdachlosen Zuhörer. Die ganze Nacht spricht sie über ihr Leben. Erst am frühen Morgen glaubt sie, eine Lösung für ihren Konflikt gefunden zu haben.

Véronique Olmi hat einen kleinen und feinen Roman geschrieben. In ihm lässt sie eine Frau in den mittleren Jahren resümieren: Wo komme ich her; warum bin ich so geworden, wie ich bin; und wieso habe ich in der Beziehung mit Paul so viel zugelassen? Wer in unterschiedlichen fiktiven Welten lebt, der spielt auch im Privaten verschiedene Rollen. Vielleicht muss die erfolgsverwöhnte Schauspielerin Nelly genau aus diesem Grund immer wieder tief schürfen, um ihr wahres Ich zu finden.

In einer poetischen Sprache erzählt Nelly Erlebnisse aus ihrem Leben, die auch die Kindheit nicht ausparen. Durch schnelle Szenenwechsel und Rückblenden entsteht allmählich ein Bild, das dem Leser Interpretationsfreiheiten schenkt. Nellys Motivation, die Schattenseiten ihrer Liebesbeziehung sind ebenfalls nur knapp skizziert und lassen die volle Wahrheit nur erahnen.

Die in Nizza geborene Véronique Olmi zählt zu den bekanntesten Dramatikerinnen. In ihrem Kurzroman zeigt sie wieder ihre Fabulierkunst. Mit wenigen Worten das große Thema über ein Scheitern zu bearbeiten, ist viel mehr als ein Solo für einen Mann in der fünften Reihe.

Véronique Olmi: Der Mann in der fünften Reihe.
Antje Kustmann Verlag, Februar 2017.
112 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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Ein Kommentar zu “Véronique Olmi: Der Mann in der fünften Reihe

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