Bergsveinn Birgisson: Quell des Lebens

Im Jahr 1783 hat sich in Island ein heftiger Vulkanausbruch ereignet. Glühende Asche, Feuerdämpfe, Überschwemmungen, Giftgaswolken, klirrende Kälte, Pockenepidemien… – das Ausmaß der Verwüstungen und die Dauer der Katastrophe nehmen kein Ende und ziehen sich über viele Monate hinweg. Unzählige Isländer samt ihrem Vieh fallen dem Unglück zum Opfer.

Da Island zu dieser Zeit eine dänische Kolonie war, plant man in Kopenhagen die Zwangsdeportation der Bevölkerung. Magnus Egede, ein dänischer Wissenschaftler, wird beauftragt, bis ans Cap Nord der Insel vorzudringen um die Gegend zu erkunden. Auf dem Weg dorthin soll er Landvermessungen durchführen und seine Informationen und Eindrücke über die in jenem abgelegenen Gebiet verstreut lebenden Menschen dokumentieren.

Je weiter Magnus in das Land vordringt und sich den rauen Bedingungen stellt, desto mehr ist er von der unwirtlichen Umgebung und dem anspruchslosen Inselvolk fasziniert. Inmitten dem ganzen Unheil auf der Insel wird Magnus bald klar, dass er viel zu sehr in seiner eigenen Kultur gefangen ist um verstehen zu können, was gute oder schlechte Lebensbedingungen für diese Menschen sind. Zudem ist er als Wissenschaftler nicht nur seinem Land, sondern auch seinem Ruf um Ruhm und Ehre verpflichtet.

Als er auf Sesselja trifft, eine stumme, junge Frau aus den Westfjorden, zieht diese ihn gleichermaßen in Bann wie die archaische Landschaft. Sesselja pflegt ihn aufopfernd, als er von einem Eisbär übel zugerichtet wird. Als keiner mehr an seine Genesung glaubt und die Wunden der Eisbärkrallen auf seinem Körper sich lebensbedrohlich entzünden, macht Sesselja sich auf den gefährlichen Weg zu einer Heilquelle. In Seehundemägen, die sie sich um den Körper schlingt, transportiert sie das kostbare Wasser zurück zu Magnus um ihn damit zu heilen.

Bergsveinn Birgisson hat seinen Roman um die sich tatsächlich zugetragene Naturkatastrophe gebaut. Mit den Überlieferungen in denen Menschen sich Ereignisse und Erdichtetes auf der Suche nach Erklärungen zusammengereimt haben, erzählt er die Geschichte weiter mit der Variante einer möglichen Wahrheit, wie sich etwas zugetragen haben könnte.

Birgisson, der altnordische Literatur studiert hat und zur Dichtung des skandinavischen Mittelalters forscht, schildert eindringlich die urtümliche Landschaft Islands und ihre Zerstörung durch Naturkatastrophen. Das Schreckensszenario einer zerstörten Natur mit allen Auswirkungen auf die Überlebenden und das ureigene Hinterfragen des Protagonisten Magnus, ob Menschen, die ein genügsames und entbehrungsreiches Dasein führen, möglicherweise glücklicher leben, als Außenstehende annehmen, ist heute so aktuell wie damals.

Sowohl Birgissons bereits bei Schreiblust-Leselust rezensiertes Romandebüt Die Landschaft hat immer Recht als auch Quell des Lebens wurden für den Isländischen Literaturpreis nominiert. Die Übersetzung aus dem Isländischen stammt von Eleonore Gudmundsson.

Bergsveinn Birgisson: Quell des Lebens.
Residenz Verlag, Februar 2020.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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Ein Kommentar zu “Bergsveinn Birgisson: Quell des Lebens

  1. Historischer Kontext: Ob die Dänen nach dem Vulkanausbruch (Lakagígar, 1783) wirklich größere Umsiedlungen vorhatten, ist zweifelhaft. Offizielle Protokolle erwähnen einen Vorschlag, 500-800 „unproduktive“ Personen (Bettler, Alte, Waisen) nach Dänemark zu verfrachten, damit die Zurückbleibenen nach der Hungersnot schneller wieder auf die Beine kommen sollten. Unklar ist, ob noch größere Umsiedlungen (10000-20000 Personen) informell im Gespräch waren, ohne es in die offiziellen Protokolle der Zinskammer zu schaffen. Letztlich wurde auch vom der Umsiedlung der 500-800 Bettler abgesehen.
    Die Hilfsmaßnahmen der dänischen Regierung nach dem Vulkanausbruch waren unzureichend und viel zu spät (siehe Link unten), aber solchen Zynismus, wie im Roman beschrieben, (die arbeitsfähigen Isländer zwangsdeportieren und die Kranken zum Sterben zurücklassen) hat die werte Zinskammer nicht an den Tag gelegt. Was natürlich nicht heißt, dass ein Romanautor diese Möglichkeit nicht durchspielen darf 🙂

    https://blogs.egu.eu/divisions/gmpv/2018/05/22/fire-fog-frost-famine-french-revolution-the-lakagigar-eruption-in-iceland-1783-1784-part-2/

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